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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Sept. 25 2015

Die Erfurter Herbstlese startete mit ihrem traditionellen Literarischen Quartett

Das Haar in der Buchstabensuppe

Die Herren Gehler, Herz, Leibrock und Löhr vor ihrem Schlagabtausch.
Die Herren Gehler, Herz, Leibrock und Löhr vor ihrem Schlagabtausch.

Es mag manchmal anders scheinen, doch die vier Herren mögen sich. In den letzten Jahren hat sich eine Vertrautheit eingespielt, die erst manchen frontalen Angriff auf den Nebenmann erlaubt. Hart und fair könnte man das nennen.

Alle vier eint die Liebe zum gedruckten Wort. Kein Wunder, haben die Herren Matthias Gehler, Felix Leibrock und Dietmar Herz inzwischen jeder mindestens ein eigenes Buch vorgelegt. Allein Dirk Löhr, der frühere Zeitungsmann, steht auf diesem Gebiet noch mit leeren Händen da. Aber es ist nicht nur die Freude am Lesen, die eint. Alle vier mögen den Diskurs; die Wahrheit, und sei es die eigene, muss ans Licht.

Dazu zählte in diesem Jahr auch ein wenig Gegrummel ob der ausgewählten vier Titel. Was der Herbstlese-Verein noch mit Bedacht ersann, stieß auf Kritik. Statt der Vierer-Short-List hätte sich Chefmoderator Felix Leibrock lieber aus der langen Liste mit über 60 Büchern bedient, die 2015 bei der Herbstlese vorgestellt werden. So musste er sich – wie die anderen ­– zwischen einem Thriller, einem Erinnerungsbuch, einem als Roman getarnten historischem Stoff und dem erzählten Leben einer Sterneköchin entscheiden. Weniger ist mehr? Für ihn heuer nicht.

Doch bevor es an die einzelnen Bücher ging, sezierte der Theologe zunächst ein wenig das Motto des diesjährigen Festivals. „Alles hat seine Grenzen?“, fragte er ins Publikum. Das Echo viel doch eher bescheiden aus. Das Publikum wartete erst einmal ab.

So war es an Matthias Gehler, den Reigen zu eröffnen. Seine Kritik an Jilliane Hoffmanns Thriller „Samariter“ fiel freundlich aus. Ein Krimi, den man lesen kann, ohne dass er einem den Schlaf raubt. Eine Einschätzung, die auf wenig Gegenrede stieß. Wobei Amerika-Kenner Dietmar Herz den Roman sogar zu dem besten erklärte, den die US-Schriftstellerin bisher vorlegte. Wenig gute Worte fand er für die Übersetzung, die er schlampig nannte, dafür lobte er die psychologische Zeichnung des Werkes. Ein Urteil, dem sich auch Dirk Löhr anschließen konnte.

Einige Einigkeit bestimmte auch die Rezeption von Hans Joachim Schädlichs „Narrenleben“. Alle vier bestätigten, die Erlebnisse zweier Narren im 18. Jahrhundert durchaus mit Genuss gelesen zu haben. Irritation herrschte dennoch über das Label „Roman“, das dem schmalen Bändchen vom Verlag zugemutet wurde. Matthias Gehler schaffte es sogar, die Geschichte aus Sachsen mit der seiner Familie zu verknüpfen.

Der ganze Unmut über die begrenzte Buchauswahl brach dann über Léa Linster und Dirk Löhr herein, der die Lebensgeschichte der inzwischen 60-Jährigen Sterneköchin allen anempfahl, die wissen wollen, wie Frauen ticken. Felix Leibrock ließ kein gutes Haar an dem Buch, vielmehr fand er ziemlich viele in der Buchstabensuppe. So groß war sein Verdruss über die verlorene Leselebenszeit, dass selbst der passionierte Koch Dietmar Herz die Erinnerungen der Luxemburgerin nicht gegen die Wucht seiner Worte verteidigen konnte.

Blieb das „Revolutionstagebuch“ Victor Klemperers, das alle vier Herren zur Lektüre empfahlen. Gleichwohl der Politik-Professor dazu riet, das Werk mit gebotener Vorsicht zu genießen; nicht alles von dem, was der junge Klemperer aus dem München des Jahres 1919 zu berichten weiß, halte dem Wissen moderner Geschichtsschreibung stand, warnte er.

Zu einem echten Favoriten konnte sich das Publikum, von Felix Leibrock dazu befragt, nach fast zwei Stunden nicht durchringen. Die meisten würden ja Klemperer lesen, wenn da nicht die professorale Warnung gewesen wäre . . .

Das Literarische Quartett der Erfurter Herbstlese

Fotos: Holger John

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