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Erfurter Herbstlese
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Nov. 12 2015

Manfred Flügge bei Hugendubel

Die Dynastie der Manns

Manfred Flügge hat schon einige Biografien vorgelegt, so zu Heinrich Mann oder Thomas Manns Sekretär Konrad Kellen. Sein Werk umfasst 25 Bücher.
Manfred Flügge hat schon einige Biografien vorgelegt, so zu Heinrich Mann oder Thomas Manns Sekretär Konrad Kellen. Sein Werk umfasst 25 Bücher.

Der lange Schatten der Familie Mann ist eng mit der Geschichte der Herbstlese verwoben. Immer wieder gab es Bezüge zu ihrem Schaffen, mal im übertragenen Sinne, oft ganz direkt. Wie kaum ein Schriftsteller deutscher Zunge sich dem Werk von Heinrich, Thomas & Co. entziehen konnte und kann, gibt es wohl keinen Leser mit Anspruch, der auf die Lektüre ihrer Romane, Erzählungen und Novellen völlig verzichtet. So bedient die Einladung an einen Autor im Dunstkreis der Manns auch immer die Erwartung des Publikums.

Mit anderen Worten, wo Mann drauf steht, strömt das Publikum. Das war so, als Armin Mueller-Stahl die Säle in Erfurt und Weimar füllte; viele sahen in ihm mehr die Verkörperung denn den bloßen Schauspieler Thomas Manns. Das stimmte auch, als Frido Mann, „der Lieblingsenkel“ zur „Achterbahn“ in den Kaisersaal lud. Selbst ein Möbel brachte es so zu Prominenz: Inge Jens konnte mit „Am Schreibtisch“ bei der Herbstlese vor zwei Jahren einen großen Erfolg erringen.

Da steht Manfred Flügge in nichts nach. Mit seinem aktuellen Buch „Das Jahrhundert der Manns“ hat er den Nerv des Erfurter Publikums getroffen. Bis auf den letzten Platz hinten im Café ist seine Lesung in der Buchhandlung Hugendubel ausverkauft. Dass dies nicht nur am Zauberwort „Mann“ liegen mag, weiß Programmchefin Monika Rettig bei ihrer Vorstellung des Autors herauszuarbeiten. Mit vielen seiner früheren Publikationen bewegte sich Manfred Flügge zielsicher auf dieses Projekt zu, stellt sie fest.

Den so gepriesenen Gast freuen diese Worte ungemein. Gern hätte er mehr davon gehört, sagt er, um dann ein wenig mit den Rezensenten in den Redaktionsstuben der Zeitungen zu hadern. Nie würden diese eingestehen, etwas Neues, noch Unbekanntes bei der Lektüre eines seiner Bücher erfahren zu haben, klingt es ein wenig enttäuscht vom Podium.

Doch dazu, bei allem Respekt, gibt es keinen Grund; Enttäuschung ist ob der Rezeption der über 400 Seiten starken Familien-Biografie wirklich nicht angezeigt. Mag ja sein, dass der eine oder andere etablierte, vielleicht sogar selbst ernannte Mann-Experte mit Lob geizt, was ja auch nicht verwundert. Die Deutungshoheit über das Thema ist hart umkämpft, nicht von ungefähr nennt Manfred Flügge sein Unterfangen, noch ein Buch über all die Manns auf den Markt zu werfen, frei heraus „tollkühn“.

Nein, wichtiger sollte ihm der Leser sein. Für den kann es aber gar nicht genug Futter für diesen ganz speziellen Lesestoff geben; sein Appetit ist lange nicht gestillt.

Es ist doch so: Entweder beschäftigen sich die Autoren mit Details; dann ist der Kreis der Rezipienten klein, die Sprache, das Thema für den Laien, den Liebhaber unverständlich. Oder man schreibt für das interessierte Publikum, was immer die Gefahr in sich trägt, von den Eingeweihten missachtet zu werden.

Doch das interessierte Publikum braucht Bücher wie „Das Jahrhundert der Manns“. Es ist die lebendige Quintessenz aus der Beschäftigung mit einem hochkomplexen Stoff. Darin liegt doch gerade der Reiz einer Biografie: Ein Mensch, ob Mann oder Frau, Artist oder Politiker, Sportler oder Serienmörder, wird in einem besonderen Licht seiner Zeit porträtiert. Der Einzelne wird erkennbarer, weil das Ganze im Fokus steht.

Klingt abenteuerlich, lässt sich aber ganz gut an einer Ausstellung erklären. Ist es dem Kurator gelungen, eine Auswahl an Bildern, Fotos, Plastiken oder was sonst allem noch für eine Exposition zu versammeln, wird die Schaustellung dieser Dinge zu ihrem Gütesiegel. Fast wichtiger aber noch ist der Katalog, der Künstler und Werksgeschichte vereint. Er ist oft der eigentliche Höhepunkt einer Ausstellung.

So kann man Manfred Flügges Buch sehen. Als gut gemachten, gut recherchierten, gut aufgeschrieben Katalog der Kunstfirma Mann. Der einlädt zum Blättern, der unbekannte Seiten der Protagonisten aufzeigt und spannende Querverweise erlaubt. Ein Buch, das durchaus in einem Ritt gelesen werden kann, das aber gerne dazu einlädt, wieder und wieder in die Hand genommen zu werden.

Dieser Lust auf mehr wird Manfred Flügge auch mit seiner Lesung gerecht. Er erklärt seinem Publikum, warum das Exil so wichtig für den Familienzusammenhalt war, ohne die Pression von außen wohl auch keine so exorbitante Stärkung der Gemeinschaft nach innen möglich gewesen wäre. Dem Zuhörer respektive dem Leser wird klarer, warum „Novellenverbrechen“ zu so einer Sippe dazugehören (müssen), wie der Zwang zur Nähe auch heftige Fliehkräfte gebiert.

Nach über einer Stunde anspruchsvoller Unterhaltung, aber nicht ohne „höhere Heiterkeit“, entlässt Manfred Flügge sein Publikum in die Erfurter Novembernacht. Zuvor gibt er aber noch die Richtung seines aktuellen Interesses vor: Thomas Mann und das Mythologische. Mag sein, dass die Kritiker auch sein 26. Buch in den Himmel loben wollen, seine Leser wird es, wie die 25 davor, sicher finden.

Manfred Flügge bei Hugendubel

Fotos: Holger John

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