Edgar Feuchtwanger im Augustinerkloster
Mit den Augen eines Kindes
München, Prinzregentenplatz 16, zweiter Stock. Eine ganz normale Adresse im Stadtteil Bogenhausen. Nichts deutet darauf hin, wer hinter den frischverputzten Mauern einst wohnte. Oder müsste es nicht besser heißen: residierte? Nein, nichts erinnert hier noch an die „Führerwohnung“. Allein, er könne sich nur an ein Ereignis erinnern, bei dem diese Bezeichnung fiel. Im März 1938 war das, nach der Rückkehr Adolf Hitlers aus Wien. Sonst, sagt Edgar Feuchtwanger, gab es diese Bezeichnung nicht.
Der Historiker sitzt an einem Tisch im Staupitz Saal des Augustinerklosters. Hinter ihm zeichnete ein Beamer schwarz-weiße Bilder an die Wand. Gerade zeigten sie den kleinen Edgar mit seinem Kindermädchen Rosi an der Hand, jetzt ist der Führer zu sehen, wie er in seinem Cabriolet stehend die Ovationen der Wiener entgegennimmt. Zwischen beiden Bildern liegen fast zehn Jahre. Eine Frist, die die behütete, sorgenfreie Kindheit auf der einen, und die letzten Tage vor der Emigration auf der anderen Seite umspannt. Eine Zeit, die mit dem Ärger darüber beginnt, dass der Milchmann einen Teil seiner Ware dem Herrn Hitler überlassen muss, und die mit der Reichspogromnacht und der Verhaftung des Vaters endet.
Er habe nichts vorzuweisen, als eben der Nachbar Hitlers gewesen zu sein, sagt Edgar Feuchtwanger zu Beginn des Abends. Das ist stark untertrieben. Er ist seinen akademischen Weg gegangenen, später in England. Doch seine damalige Sicht auf den großen Diktator, der Blick eines Kindes, interessiert heute mehr als seine wissenschaftliche Arbeit. Das weiß er, und das weiß auch sein Publikum. Doch bei aller Neugierde, die ja auch ein wenig peinlich ist, ist es ungemein wichtig, dass die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen – der unfreiwilligen Zeitgenossen, wie es Prof. Dietmar Herz im Gespräch mit Edgar Feuchtwanger ausdrückt – gehört werden. So ist dieser Abend ein Stück gelebte, lebendige Geschichte. Vor den 200 Menschen im völlig ausverkauften Saal sitzt ein 90-Jähriger, der von Dingen berichtet, die über 80 Jahre zurückliegen.
Wie lange wird es solche Momente noch geben können?
Es ist ein berührender Abend im Augustinerkloster. Nicht alles, was der alte Herr sagt, stimmt mit den Erwartungen des Publikums überein. Seine entwaffnende Redlichkeit lässt auch Fragen zurück. Doch sei es darum, sie werden vom Zauber des Erinnerns bedeckt.
Mit den Augen eines Kindes
Fotos: Holger John | VIADATA