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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Mai 13 2020

Vorgestellt von Elias Brandt, Restaurantfachmann

Mark Schnejder „Essen, Schlafen, Raven“

Mark Schnejder „Essen, Schlafen, Raven“
Mark Schnejder „Essen, Schlafen, Raven“

Mixtapes, Ecstasy und grelle Jogginghosen – so trafen sie sich im Steigerwald zum verbotenen Rave. Die Biografie des Berliner DJs „FoxVox“ (bürgerlich Mark Schnejder) zeichnet ein lebhaftes Bild von der Erfurter Techno-Szene in den 1990-er Jahren.

In der Provinz aufgewachsen, zog es Schnejder im Herbst 1993 zur Lehre an die Gera. Seinen ersten Trip erlebte er auf einer Party im Rieth, untermalt von Tracks der legendären Band „Fraktus“. Der junge Mann fand Gefallen am Techno, bald organisierte er zusammen mit Freunden sorgsam vorbereitete Raves in abgelegenen, aufgegebenen oder vergessenen Ecken der Stadt. Doch mit den wirtschaftlichen Brüchen der Zeit sollte Erfurt seine Jugend verlieren, die Szene verlief sich in größere Metropolen. Schnejder selbst zog es 1997 nach Berlin, wo er sich als DJ einen Namen machte. Mit dem 2002 erschienenen Buch würdigt er seine musikalische Alma Mater.

Der parataktische, zugleich an Metaphern reiche Stil des Autors lädt dazu ein, immer wieder in eigene Erinnerungen an das Erfurt dieser Tage abzugleiten. Schnejder schwärmt von längst dicht gemachten Clubs und Bars, er begegnet Originalen wie Rosen-Rosi oder Mensa-Jürgen, und er durchstreift heruntergekommene Bauruinen, die heute wieder in frischen Farben erstrahlen. Nostalgisch, aber nicht beschönigend, schreibt der Autor von Zusammenhalt und Tatendrang, aber auch von Drogenproblemen und Perspektivlosigkeit in seinem Kollektiv. Die Widersprüche, in die sie das Leben verstrickte, bringt er mit analytischer Nüchternheit auf den Punkt: „Schnelles Geld war uns immer egal, Geld allgemein. Aber für Platten, Klamotten, XTC, da brauchst du schnelles Geld. Was blieb uns also übrig?“

Gelegentlich illustrieren Schwarzweißfotografien das Geschilderte. Darauf sieht man junge Menschen, die in viel zu weit geschnittenen oder knappen Klamotten tanzen. Es braucht nicht viel Fantasie, um die Farben der Perücken zu erahnen oder das Gefühl des Flokati unter den Fingern zu spüren. Ein kleines Suchspiel: Auf fast jedem Foto findet sich ein T-Shirt mit dem Konterfei der 90-er-Ikone Alf. Für ein Schmunzeln sorgt auch das Improvisationstalent der Protagonisten, die aus Elektroschrott eigene Sound- und Lichtanlagen basteln; ein ausgedienter Lada wird sogar zur mobilen Minibar samt Kühlfach umgerüstet.

Wer ein heute vergessenes Erfurt kennenlernen möchte, dem sei dieses kurzweilige und unterhaltsame Werk als Milieustudie ans Herz gelegt.

Mark Schnejder arbeit als Kellner und Barmann in Erfurt (*)

 

 

Mark Schnejder „Essen, Schlafen, Raven – Erfurter Zeiten“
DiscPrint Verlag, 257 Seiten, Taschenbuch
ISBN 987-3533019404
13,99 Euro

 

Das Buch kann leider nicht unter diesem Link bei unserem langjährigen
Partner Hugendubel erworben werden.

 

 

 

(*) Das auf dieser Seite so einfühlsam wie facettenreich beschriebene Buch ist leider im Buchhandel nicht erhältlich. Der einfache Grund - es wurde noch nicht geschrieben. Der Autor dieser Zeilen, ein Historiker kurz vor der Promotion, wollte schon immer eine freundliche Rezension schreiben, die auch lesbar ist. Bei den von ihm bearbeiten Themen und Texten stellte sich dies in der Vergangenheit aber als schlicht unmöglich heraus. Die Betreuer dieser Seite bitten höflich um Verständnis dafür, sich nicht entschieden genug einem Gelehrten in den Weg gestellt zu haben, der ein wenig Farbe in seinen grauen Alltag bringen wollte.

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