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März 28 2015

Torsten Unger stellt im Angermuseum sein Buch über Thomas Manns Besuche in Weimar vor

Aller guten Dinge sind fünf

Torsten Unger stellte bereits sein drittes Buch bei einer Herbst- oder Frühlingslese vor.
Torsten Unger stellte bereits sein drittes Buch bei einer Herbst- oder Frühlingslese vor.

Auf ihrem Weg durch die Säle der Stadt Erfurt macht der Herbstlese-Verein zum ersten Mal im Angermuseum Station. Im Entree des Hauses stellt Torsten Unger sein drittes Buch vor. Nach den Kritikern Goethes und Schillers beschäftigt den Kulturjournalisten diesmal eine Geistesgröße des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann. Doch ganz ohne Bezug zu den Klassikern war diese Buchvorstellung nicht, dreht sich sein neuester Text doch um die Besuche des Nobelpreisträgers in Weimar.

Fünf Mal kam der Verfasser der Buddenbrooks an die Ilm. Fünf Besuche, die den jeweiligen geistigen Zustand des Landes widerspiegeln: Unschuldig zunächst, vor dem ersten großen Morden im Jahre 1910.

Mann wohnt bei einem Schulfreund, der inzwischen am Weimarer Hof untergekommen ist. Wenig deutet auf den kommenden Weltkrieg hin. Torsten Unger hat in alte Zeitungen geschaut, und zitiert aus den Rezensionen zu Manns Lesungen. So ganz ernst nehmen die Journalisten den Autor noch nicht. Der reist, durchaus angetan, nach München zurück.

Beim zweiten Besuch hat sich sehr viel verändert. 1921 existiert das Herzogtum nicht mehr, Weimar steht mit seinem Namen für die junge, gefährdete Republik. Thomas Mann, erklärt Torten Unger seinen Zuhörern, „ist ein anderer geworden“. Er ist, nicht zuletzt unter den Eindrücken von Krieg und Revolution, „politisiert“. Er trägt unter anderem aus dem Manuskript seines Romans „Der Zauberberg“ vor, den er zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet hat.

Das Jahr 1932 sieht seinen dritten Besuch. Deutschland feiert Goethes 100. Todestag. Für Thomas Mann ist es die Zeit zwischen Nobelpreis und Exil. In Weimar ist das dräuende Unheil für ihn deutlich zu spüren. Die Nazis regieren in Thüringen bereits mit, sie stellen sogar, erklärt Torsten Unger, bereits den Kultusminister. Überall in der Stadt ist braun die vorherrschende Farbe in den Auslagen, bestimmen Porträts von Hitler das Bild. Thomas Mann empfindet die Atmosphäre als bedenklich, von düsteren Vorahnungen bedrängt verlässt er Weimar.

Und wieder ist es Goethe, der ihn zurückführt. 1949 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag des Dichters. Hinter Thomas Mann liegt nicht nur das Exil; er kommt als amerikanischer Staatsbürger in ein geteiltes Land. Jeder seiner Schritte hat das Potenzial zum Politikum, alles, was er sagt, generiert eine eigene politische Bedeutung. Mann versucht, der Teilung mit seinem ganzen Gewicht als Weltbürger entgegenzutreten, er sieht sich als Repräsentant des einen, des geeinten Deutschlands.

Das stößt nicht nur auf Freude; nein, Torsten Unger zeigt, dass vielen Menschen in Ost und West der Schriftsteller nicht geheuer ist. Für einige, vielleicht sogar die Mehrheit, ist er schlicht der „Verräter“.

Diese Skepsis schlägt ihm auch bei seiner letzten Weimar-Visite 1955 entgegen. Dieses Mal ist es an der Zeit, Schiller zu ehren. Der 150. Todestag des früheren Professors der Jenaer Universität gebiert die Idee, Thomas Mann die Ehrendoktorwürde der Hochschule zu verleihen. Torsten Unger berichtet nicht ohne Vergnügen von der anfänglichen Weigerung der Philosophen, dem Schriftsteller derart zu würdigen, und dem Angebot der Mediziner, dann eben in die Bresche zu springen.

Ähnlich merkwürdig ist ein Interview, das Mann gar nicht gegeben haben will, und das kurze Zeit nach seiner Reise in der „Berliner Zeitung“ erscheint. Die Geschichte des vermeintlichen Gesprächspartners – es ist Otto John, der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der sich unter nie geklärten Umständen zeitweilig in die DDR absetzte – hat das Zeug dazu, ein eigenes Buch zu füllen.

Torsten Unger trägt all dies mit großer Ruhe und Sicherheit vor. Bereits zu Beginn der Lesung hat er von seiner frühen Liebe zu Thomas Mann berichtet. Sein ganzer Vortrag kündet davon, dass diese Liebe seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ihm im Schulunterricht „Die Buddenbrooks“ zum ersten Mal begegneten, weiter gewachsen ist. So lässt sich sein Publikum an diesem Abend auch nicht lange bitten, und stellt an den Kenner noch einige Fragen.

Die Antworten darauf führen sogar zum Dialog. Michael Grisko, der vor seiner heutigen Tätigkeit für die Sparkassen-Kulturstiftung in Erfurt am Buddenbrookhaus in Lübeck beschäftigt war, bereichert aus dem Auditorium heraus das Gespräch. Er erinnerte daran, dass sich auch die Hansestadt zunächst schwer mit der Ehrung ihres großen Sohnes tat; weit lagen wohl einige der Professoren der Universität Jena und der eine oder andere Lübecker Stadtrat in ihrer Ablehnung Manns nicht auseinander.

Torsten Unger im Angermuseum

Fotos: Vivien Schötz

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