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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 06 2013

Respekt vor dem Enormen

Respekt vor dem Enormen
Respekt vor dem Enormen

Der Kaisersaal und die Herbstlese kennen sich gut. Jahr für Jahr bietet das gediegene Ambiente der historischen Immobilie Raum für besondere Lesungen; sei es, weil ein Autor wie Martin Walser die Reihen füllt, oder ein Schauspieler der Güte Dieter Manns die Bühne des Hauses aus ihrem Dornröschenschlaf weckt. Ein Buch wie Rüdiger Safranskis Goethe-Biografie gehört einfach hierher.

Der Autor beschwört dann auch zu Beginn den Genius loci. Er muss dem kundigen Publikum nicht erklären, wo man sich befindet; am Ort des Fürstenkongresses von 1808, Schauplatz der Begegnung Goethes mit Napoleon. Es ist auch mehr als nur eine Reminiszenz an den Lokalpatriotismus, dass er gerade dieses Treffen zum Zielpunkt seiner Lesung macht. Das Treffen des Imperators mit dem Dichter findet auf Augenhöhe statt. Es ist die Zusammenkunft zweier Lebenswerke.

Denn darum geht es Safranski. Es gibt, wie er gleich zu Beginn erklärt, einiges an Literatur über Goethe. Wozu noch eine Biografie?

Er nennt zwei Gründe. Der erste ist sportiver Natur, wie er schmunzelnd sagt. Bei seinen Texten über Schopenhauer und E. T. A. Hoffman, zur Romantik und – am allermeisten da über Schiller war Goethe „immer ganz nah“ gleichsam wie „ein Berg in der Landschaft“. Diesen Berg  zu besteigen, ihn zu bezwingen, war lange Rüdiger Safranskis Wunsch.

Der zweite Grund geht tiefer. Im Diapason der Werke über Goethe fehlte ihm der tiefere Blick auf das Lebenswerk als eigenständige Größe, als Kunstwerk, das selbstbewusst neben den großen Dichtungen steht. So erklärt sich auch der Untertitel des Buches: Kunstwerk des Lebens.

Wobei das mit den Dichtungen viel zu kurz greift. Rüdiger Safranski zeigt einen Goethe, der nicht nur eines sein möchte, nicht nur Wissenschaftler, Maler, Minister, Politiker oder Dichter – er will das alles sein, in vollendeter Balance. In diesem Punkt muss sich diese Biografie von den anderen unterscheiden. Dienten sie in den oben genannten Beispielen in erster Linie „der Erhellung des Werkes“, gilt es in dieser Biografie, das Lebenswerk selbst zu feiern. Ganz im Sinne Goethes, dem nicht allzu spät selbst klar wurde, dass er seinem Leben einen Werkcharakter geben muss.

Die Selbstinszenierung an sich ist eine heikle Sache, die selten ein gutes Ende nimmt. Selbst bei Goethe stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Lebens mit festem Blick auf die Nachwelt; wo endet die Größe, beginnt Größenwahn? Es ist sicher ein Verdienst Rüdiger Safranskis, dass er dem Leser die Einzigartigkeit Goethes, seine Erhabenheit, wohltuend unaufgeregt zeigt, oft mit einigem Sinn für Humor, ohne den zu viel Größe nicht zu ertragen wäre. Auch im Kaisersaal ist diese Grundstimmung zu spüren. Immer wieder geht ein freundliches, ein menschliches Regen, das sich manchmal zum Lachen steigert, durch die Reihen.

So präsentiert Rüdiger Safranski seinen Goethe mit viel „Respekt vor dem Enormen“, und zeigt ihn zuerst doch: als Mensch. Das Publikum dankt ihm mit langem Applaus.

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