Herbstlese-Extra mit dem Liedermacher Konstantin Wecker im Theater Erfurt
Die Sehnsucht nach Utopia
Von Birgit Kummer (*)
Erfurt Konstantin Wecker ist da, das Klavier aber fehlt auf der Bühne des ausverkauften Erfurter Theaters. Nur reden, nicht singen? Der 74-Jährige ist als Autor gekommen, eingeladen vom Thüringer Schriftstellerverband und der Herbstlese.
Um „Poesie & Politik“ soll es gehen – und „Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten“ heißt Weckers Buch, das ein Plädoyer für Kunst und Kultur ist. Er schrieb es während der Pandemie, als kein Konzert stattfinden konnte.
Aber Wecker wäre nicht Wecker, wenn er den Abend am Lesetisch verbrächte. Schon nach wenigen Minuten steht er vorn am Bühnenrand im Dialog mit dem Publikum. Und er singt, a capella und so eindringlich, dass man Stecknadeln fallen hören könnte. Vertonte Gedichte, bekannte Lieder wie „Jeder Augenblick ist ewig“ und neue wie „Schäm dich Europa“.
Was hat ein Poet, was ein Politiker nicht hat? „Die Chance, uns an unser Menschsein zu erinnern. Und die Sehnsucht nach Utopia wachzuhalten“, antwortet er auf die Frage des Moderators Frank Quilitzsch, um dann mit ihm den Gesprächsbogen zu ziehen von Mikis Theodorakis über das Lied „Willy“ bis zu den bevorstehenden Wahlen.
Der Mann hat Haltung, vertritt und begründet sie. Er wehrt sich gegen jede Form von Rassismus und Faschismus. Aus seinem Entsetzen über die Tatsache, „dass wieder Nazis in Parlamenten sitzen“, macht er keinen Hehl. Und er ermuntert sein Publikum, den eigenen Kopf einzuschalten, wütend zu sein, um etwas verändern zu können, und zärtlich im menschlichen Miteinander.
Es wird ein sehr persönlicher Abend. Mit einer Hommage an die Eltern, die den rebellischen jungen Mann in der Familie aufgehoben sein ließen. Mit emotionalen Worten für seine Söhne und der Bitte an Erwachsene, in die Welt von Kindern einzutauchen und deren magischen Zauber nicht zu zerstören.
Wecker erzählt von seinem Weg in die Musik, seinem „Liedermacher-Vater Franz Schubert.“ Spricht über erste Knast-Erfahrungen als 19-jähriger Jung-Poet und wie ihm die Liebe zur Operette half durchzuhalten. Und er schwärmt von Sprache – von Mascha Kaléko, Erich Kästner, Ludwig Börne, von Rilke, der sich so schwer vertonen lasse. Poesie zeige, „dass es noch etwas gibt, was wir mit unserer Ratio nicht völlig erfassen können“.
Der Auftritt ist ein Plädoyer fürs Mit- und Nachdenken, Gemeinschaft und eigenes Aktivwerden. Und ein Lob der Anarchie, der Eigenständigkeit. Wecker wünscht sich Skepsis und Widerstand gegen Machtausüber und spricht über eigene Untiefen. Am Ende erklingt „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“. Das Publikum dankt stehend.
* Dieser Beitag erschien zum ersten mal am 7. September 2021 in der "Thüringer Allgemeine".