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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 19 2022

Dagmar Berghoff und Constantin Schreiber stellen ihr gemeinsames Buch vor

Tagesschau extra Kaisersaal

Geduldig beantworteten Constantin Schreiber und Dagmar Berghoff die Fragen aus dem Publikum - von A wie ihrem Au-pair bis Z wie vermuteter Zensur. (Foto: Uwe-Jens Igel)
Geduldig beantworteten Constantin Schreiber und Dagmar Berghoff die Fragen aus dem Publikum - von A wie ihrem Au-pair bis Z wie vermuteter Zensur. (Foto: Uwe-Jens Igel)

Von Sigurd Schwager

„Guten Abend, meine Damen und Herren“ heißt dieser Erfurter Herbstlese-Abend im November 2022, zu dem eine kleine Vorgeschichte gehört.

Sie beginnt am 4. Januar 2021 Punkt 20 Uhr im Hugh-Greene-Weg 1 in Hamburg-Lokstedt. Dort steht am Nachrichtenpult des ARD-Studios 2 Constantin Schreiber und begrüßt zum allerersten Mal in der Hauptausgabe der Tagesschau das abendliche Millionenpublikum. Ein medialer Nobody ist der 41jährige Journalist und Buchautor nicht. Doch wer ein Gesicht von Deutschlands bekanntester Nachrichtensendung wird, dem wächst damit auch beträchtlicher eigener Nachrichtenwert zu. Deshalb wird der Neue nach seiner Premiere viel mehr als früher an- und ausgefragt.

Zum Beispiel vom Hamburger Abendblatt, dem er unter anderem erzählt, welche berühmten Frauen er bewundert. Kleopatra, Agatha Christie, Michelle Obama. Und Dagmar Berghoff, mit der er gewissermaßen groß geworden sei. Selbige liest als Abonnentin des Blattes den Beitrag und darin durchaus erfreut ihren Namen. Sie setzt sich an den Computer und schickt am 19. August 2021 eine E-Mail an den lieben Herrn Schreiber. Darin lädt sie ihn ein „auf einen Kaffee oder Tee, sagen wir um 15:30 Uhr? Wenn Sie Lust haben... Ich würde mich freuen, wenn es trotz Ihres vollen Dienstplans klappt.“

Natürlich klappt es. Im Sonntagsstaat und mit einem Strauß Blumen in der Hand besucht Constantin Schreiber an einem Nachmittag Anfang September 2021 Dagmar Berghoff in ihrer lichten Hamburger Wohnung nahe der Alster. Man lernt sich kennen und rasch schätzen. Dem ersten Gespräch folgen bald weitere. Aus Worten werden Taten.

14 Monate später reisen Dagmar Berghoff und Constantin Schreiber mit dem Zug nach Erfurt, betreten am Abend, eine halbe Stunde vor der Tagesschau, die blau ausgeleuchtete Bühne im noblen Erfurter Kaisersaal, begrüßen das zahlreich erschienene Publikum synchron und sichtlich vergnügt mit „Guten Abend, meine Damen und Herren.“ Auf dem Tisch liegt etwas, das damals überhaupt nicht geplant war und doch entstanden ist: ihr gemeinsames Buch, ein offenes, berührendes „Gespräch über die Liebe, das Leben, Glück und die Nachrichten“.

Wie der Untertitel, so der ganze Abend, den die Zuhörer so schnell nicht vergessen werden. Zunächst stellt der Herr die Dame und dann die Dame den Herrn in Erfurt den lieben Damen und Herren im Saal vor. Schon als Kind, erzählt Constantin Schreiber, habe er fast jeden Abend um 20 Uhr mit den Eltern vor dem Fernseher gesessen, wo Dagmar Berghoff ihm die Nachrichten, das Weltgeschehen und überhaupt die Welt ein Stück näherbringt. Für ihn sei sie damals eine Allwissende gewesen. Viele im Saal dürften vermutlich ähnliche Erinnerungen haben und alle den Satz unterschreiben, dass Dagmar Berghoff deutsche Fernsehgeschichte geschrieben hat, auf ihre Art Wegbereiterin und Vorbild wird.

Legende, das inflationär gebrauchte Wort, ist hier ein wahres. Als erste Frau liest die gelernte Schauspielerin am 16. Juni 1976 um 16 Uhr die Nachrichten der Tagesschau, wird im Januar 1995 Chefsprecherin und bleibt es bis zu ihrer letzten Tagesschau am 31. Dezember 1999. Miss Tagesschau, die im Januar ihren „Zehnundsiebzigsten“ Geburtstag feiert, spart in Erfurt nicht mit Bewunderung für ihren jungen Nachnachfolger, der drei Jahre nach ihrer ersten Tagesschau in Cuxhaven das Licht der Welt erblickt hat. Sie fragt ihn nach seinem Jura-Studium, den journalistischen Anfängen, nach seinen Büchern, dem Grimme-Preis und warum er so gut arabisch spricht. Sie schaut ihn an und seufzt: „Ich weiß nicht, warum manche Männer so gut aussehen. Die brauchen das doch gar nicht.“

Dem Lachen im Publikum folgt der dezente Versuch von Constantin Schreiber, in die Dramaturgie einzugreifen: „Es soll doch um Dich gehen und nicht um mich!“ Was mit seiner Hilfe auch geschieht. Dabei degradiert sich Schreiber nicht zum Stichwortgeber, sondern gefällt durch unterhaltsam kluge Moderation. Wenn Dagmar Berghoff erzählt, wie sie Ende der siebziger Jahre in der Tagesschau regelmäßige gemeinsame Sprecher-Essen anregt, was die Stimmung im Team unglaublich verbessert habe, beneidet Schreiber die damaligen Kollegen: „Wir Sprecher sehen uns nur kurz beim Schichtwechsel im Sender, wenn überhaupt.“

Im Buch und in Erfurt berichtet Dagmar Berghoff auch von ihrem Auftritt in den Tagesthemen, 40 Jahre nach ihrer ersten Tagesschau. „Eine ganz lustige Aktion.“ Später sei sie noch einmal für eine Reportage in der Redaktion gewesen. Dort hätten sie junge Kolleginnen und Kollegen aus der Online-Redaktion der Tagesschau überhaupt nicht gekannt. Constantin Schreiber will es kaum glauben. „Was? Wirklich?“ Die Tagesschau-Instanz bleibt gelassen: „Nein, woher denn?“ Als sie hörten, wer sie sei, hätten alle ein Selfie mir ihr machen wollen. „Das fand ich unglaublich rührend und nett.“

Überhaupt ist Dagmar Berghoff ziemlich gut in Form, und Constantin Schreiber assistiert stilvoll. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Plötzlich halten beide inne, schauen auf die Uhr und ärgern sich, dass die Tagesschau schon seit fünf Minuten vorbei ist: Man wollte doch eigentlich um 20 Uhr... Also tun sie es jetzt und sagen, verspätet aber formvollendet ein zweites Mal: „Guten Abend, meine Damen und Herren.“

Dann geht die muntere Zeitreise weiter, bei der das Gestern nie verklärt zu besichtigen ist und das Heute immer im Blick bleibt. Dagmar Berghoff erfreut das Publikum mit vielen heiteren Anekdoten, bei denen ihr schauspielerisches Talent zur Geltung kommt. Aber sie spart auch die dunkelsten Momente nicht aus: vom Selbstmord der depressiven Mutter, da ist Dagmar gerade sieben Jahre alt, bis zum Tod des geliebten Mannes, der nach nur zehn gemeinsamen Jahren 2001 an Krebs stirbt. Nicht nur für den Erfolg im Beruf gilt ihre Maxime: „Es gibt im Leben eines jeden Menschen Momente, in denen er denkt: Das schaffe ich nicht! Da sage ich: Man muss es zumindest versuchen!“

Fragen aus dem Publikum sind in Erfurt nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. Sie handeln von A wie ihrem Au-pair in England und Frankreich bis Z wie vermuteter Zensur, von der schrecklichsten Tagesschau-Meldung bis zum größten privaten Glück. Die schlimmste Nachricht vermag sie nicht zu benennen, wohl aber den schönsten Moment: „Mein größtes  Glück war es, meinen Mann kennenzulernen.“

So endet eine Erfurter Tagesschau-Sonderausgabe, die Dagmar Berghoffs Selbstporträt beglaubigt: „Ich bin eine geborene Optimistin. Mein Glas ist immer halb voll.“

Rauschender Beifall am Ende. „Wunderbar!“ dankt Herbstlese-Programmchefin Chefin Monika Rettig. „Sie sind eine Frau der Bühne.“

Selbstverständlich wird Constantin Schreiber beim Lob des Abends nicht vergessen. Es geht damit sogar noch draußen auf der Futterstraße weiter, wo zwei junge Damen ausführlich und wohlwollend seinen Auftritt im Kaisersaal würdigen. Da hätte sich Dagmar Berghoff gewiss gern zustimmend eingemischt. 

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