+49 361 644 123 75
Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Juni 12 2020

Vorgestellt von Romy Gehrke, Kulturredakteurin bei MDR Thüringen

„Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“

„Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“
„Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“

Vielleicht war es diese Kritik im Musikmagazin „Rolling Stone“ über eine junge Band aus San Diego, die mit dem wunderbaren Satz „Der Plattenschrank ihrer Eltern war wohl prall gefüllt“ die ganze Bandbreite ihrer handgemachten Musik umschrieb. Ich fühle mich ertappt, dass auch ich meinem Sohn ständig die Lieder meiner Jugend vorspielte oder inbrünstig vorträllerte. Zwar nur mit stichprobenartigem Erfolg, aber immerhin konnten die Lieder vom Lehrling Paule Panke der nächsten Generation ein ernstgemeintes „cool“ abringen.

Und jetzt liegt da dieser wunderbare Band auf meinem Schreibtisch: „Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“, herausgegeben von Lutz Kerschowski und Andreas Meinecke. Meine Jugend. Ostrock aus liedhaften lyrischen Balladen, die im Formatradio bis heute wenig Platz finden, schreibt Lutz Kerschowski. Er merkt an, dass es den Songs der Kollegen westlich der Elbe auch nicht besser erging.

Die Fotografien von Ulrich Burchert ziehen mich gleich in ihren Bann. Ein Rockkonzert in der Konsumgaststätte Rübezahl in Berlin Köpenick 1979. Dazwischen die Liedtexte der Nautiks und der Mokka-Milch-Eisbar-Song von Thomas Natschinski. Vielleicht hätten kleine QR Codes, links unten am Seitenrand versteckt, das Lesevergnügen perfekt gemacht. So oder so beginnt meine Internetsuche nach den Klangbeispielen. An alles erinnere ich mich dann doch nicht, einen Plattenschrank besitze ich nicht mehr.

Die Nautiks, eine Amiga-Aufnahme von 1971. Der Beat, dem Kuno, Christian Kunert, in diesem Band einen wunderbaren Essay widmet. Dort heißt es: „Als unsereiner schätzungsweise noch fünf Sechstel der Lebenszeit vor sich hatte, als die Beatmusik sich mit ihrem Charme über die Kontinente breitete und dabei lächelnd Grenzzäune und -mauern überwand, als unsere Regierenden vor Schreck einen Bann verhängten über alles, was damit zusammenhing, bastelten wir uns die ersten eigenen Songs zusammen. Englisch beherrschte keiner, es sollte sich aber bitteschön genauso anhören wie das, was die Regierung verboten hatte.“

Ich stöbere weiter nach Klangbeispielen im Internet. Hardrock made in Germany steht da: Zwischen Liebe und Zorn von der Klaus Renft Combo. Ein Hauch von Jethro Tull, soweit ich das als Laie beurteilen kann.
 

Allezeit drängt nach vorn
Das Lebendige und regt sich
Zwischen Liebe und Zorn
Reift der Mensch und er bewegt sich
Auf sich zu, immer mehr
Was für den nicht angenehm ist
Der am Hintern zu schwer
und im Kopfe zu bequem ist


Revolution 

Ist das Morgen schon im Heute
Ist kein Bett und kein Thron
Für den Arsch zufriedner Leute…

 

Hätte ich jetzt noch einen Plattenschrank, würde ich auf dem Fussboden sitzen und den Plattenteller strapazieren und eine Scheibe nach der anderen auflegen. Oder besser gesagt: Ich bin drin. In der Zeit, in der Musik und im Buch. Also weiter im Text.


…Und da baut so mancher nur
An seinem eigenen Haus
Und hängt dann unsere Fahne raus
Sagt, ist das Betrug?

 

Peter Gläser schrill wie Robert Plant von Led Zeppelin in „Whole Lotta love“, nur stell ich mir FDJ-Funktionäre vor, bei denen sich angesichts der Texte die Nackenhaare aufstellen. Ich bin begeistert von der Kraft und der Poesie dieser Liedtexte. Mir werden nach Renft Manfred Krug, die Puhdys, Nina Hagen, Karat, Gruppe Schicht und die Texte von Lift begegnen.

Lift. Damals ist ihre Musik völlig an mir vorbeigegangen. Jetzt entdecke ich sie wieder. Darum ging es doch. Wiederentdecken. Ostrock, heißt es im Buch, das klingt wie Bockwurst. „So kurz, hart und abgehackt. Da fällt kaum auf, dass Wurst mit u geschrieben wird.“

Ohne nostalgisch zu werden, in diesem Buch existiert nicht für einen Moment der Geschmack von Bockwurst. Im Gegenteil, die Liedtexte und Bilder dieser Zeit erzählen vom Subversiven, dem Aufbegehren gegen staatliche Drangsalierung und von Träumen und Hoffnungen. Wenn schon kein Plattenschrank: Dieses Buch kommt in mein Bücherregal, einsortiert unter: Bücher, die ich öfter lesen werde.

Vorgestellt von Romy Gehrke, Kulturredakteurin bei MDR Thüringen

 

„Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“
Herausgegeben von Lutz Kerschowski und Andreas Meinecke
mit Fotografien von Ulrich Burchert
Ch. Links, 352 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3962890827
40,00 Euro

 

Das Buch kann unter diesem Link bei unserem langjährigen
Partner Hugendubel erworben werden.

„Östlich der Elbe: Songs und Bilder 1970-2013“

Fotografien von Ulrich Burchert

Jetzt Artikel bewerten!

  • 0 / ø 0

0 KommentareNeuen Kommentar schreiben

  • Bisher wurden noch keine Kommentare geschrieben

Allgemein

Erfurter Herbstlese ist verantwortlich für die Moderation und das Löschen von Kommentaren.

Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

Alle Kommentare werden, bevor sie erscheinen, von einem Moderator bzw. einer Moderatorin geprüft.

Datenschutz

Unsere Datenschutzerklärung beschreibt, wie Ihre persönlichen Daten erfasst und verarbeitet werden.

Neuen Kommentar schreiben

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Über uns

Erfurter Herbstlese e.V. - Es lebe die Erfurter Herbstlese!

Unser Literaturverein organisiert seit 1997 die Erfurter Herbstlese, die zu den großen literarischen Veranstaltungsreihen in Deutschland gehört. Es lebe die Erfurter Herbstlese!

Öffnungszeiten

  • Kultur: Haus Dacheröden:
    Di bis Fr: 12.00 - 17.00 Uhr
    Sa: 10.00 - 17.00 Uhr
    Telefonische Erreichbarkeit:
    Mo - Fr: 09.00 - 17.00 Uhr
    Sa: 10.00 - 17.00 Uhr

Unsere Partner & Sponsoren

Gefördert durch