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Erfurter Herbstlese
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Okt. 12 2017

Der Soziologe Hartmut Rosa stellt sein Buch „Resonanz“ im ausverkauften Kultur: Haus Dacheröden vor (Teil 2)

Verbunden mit Mensch und Welt

Dr. Katharina Held von der Universität Erfurt führte in den Abend ein und las anschließend auch aus „Resonanz“.
Dr. Katharina Held von der Universität Erfurt führte in den Abend ein und las anschließend auch aus „Resonanz“.

Von Hanno Müller

Es geht um nicht weniger als die Frage, wie ein gutes Leben gelingt. Für den Erfurter Soziologen Hartmut Rosa ist es ein Leben, dass Menschen wirklich berührt, bewegt und erreicht. Man müsse dafür nicht viel Geld haben, weit reisen oder das neueste und beste technische Gerät besitzen. Zuhören und antworten - das, so der Wissenschaftler in dieser Woche bei der Erfurter Herbstlese, sei der Schlüssel zu einer aktiven und gelingenden Weltbeziehung.

Rosa stammt aus dem Schwarzwald, hat Politikwissenschaften, Germanistik und Philosophie studiert und zur Identitäts- und Kulturtheorie von Charles Taylor promoviert. Seit 2005 ist er Professor für Soziologie an der Uni Jena und seit 2013 Direktor des Erfurter Max-Weber-Kollegs für Kultur- und Sozialwissenschaftliche Studien. Seit Jahren fragt der Soziologe, warum moderne Menschen häufig unzufrieden sind, warum Politiker nicht mehr zu ihren Wählern durchdringen oder warum 1000 Facebook-Freunde letztlich kein Indiz dafür sind, welche Beziehungen jemand hat.

Modernisieren heißt für Rosa beschleunigen. Seit seinen Büchern über Entschleunigung werde er in der Öffentlichkeit als „Entschleunigungs-Guru“ oder „Entschleunigungs-Prophet“ bezeichnet. Er hasse das, gesteht er im Haus Dacheröden. Entschleunigung gleich Langsamkeit - für ein gutes Leben sei das zu einfach. Tempo sei nicht immer schlecht. So soll der ICE ruhig schnell fahren, eine langsame Internetverbindung nerve jeden. Beschleunigung, so Rosa, werde zum Problem, wenn sie zur Entfremdung führt. Wenn man sich nicht mehr auf Gespräche und Neues einlassen kann und das „In-der-Welt-sein“ nicht mehr klappt.

An dieser Stelle bringt Rosa seine Theorie von der Resonanz ins Spiel. Ein nicht entfremdetes Leben sei ein Leben in Rückkopplung mit den Mitmenschen, der Natur, der Arbeit und letztlich auch mit uns selber. Seine Vorstellung vom gelingenden Leben, die der Schnellsprecher Rosa dem Herbstlesepublikum in einer Art soziologischem Crashkurs offeriert, meint mehr als das es sich „gut anfühlt“. „Resonanz ist nicht nur Reaktion auf Ereignisse oder Eindrücke. Es kommt im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung und der Weltaneignung an und damit auf die Art und Weise, in der Menschen die Welt subjektiv und emotional erfahren und zu ihr Stellung nehmen“, sagt Rosa.

Das, was der Erfurter mit Resonanz meint, steht damit im Gegensatz zu einem Dasein, das sich über stetige Ressourcenmaximierung definiert, also nach immer mehr Besitz, immer mehr Macht und Einfluss oder immer mehr Facebook-Freunden strebt. Modernes Leben drehe sich vielfach darum, mehr Welt in Reichweite zu bringen oder verfügbar zu machen. Wer Geld hat, könne so gegebenenfalls bis nach New York oder in den Himalaya reisen. Das bedeute aber nicht automatisch, dass er mit diesen Orten in Austausch tritt.

So dürfe Resonanz nicht mit leeren Echowirkungen verwechselt werden, die das darunterliegende existenzielle Schweigen nur mühsam und über ständige Effektsteigerungen verbergen können. Das neueste Smartphone mache zwar mehr Informationen verfügbar. Letztlich komme aber dem, der nur aufs Handy schaut, die Welt abhanden. „Die Welt in Reichweite wird stumm, entzaubert und hört auf zu singen“, so Rosa. Burnouts seien der Inbegriff der Entfremdung und des Resonanzverlustes. Resonanz sei weder kauf- noch herstellbar. Man könne sie nur durch Offenheit und Sensibilität erfahren. Echtes Berührtsein verändere den, der es erlebt, und stehe im Gegensatz zum Festhalten an Bekanntem und Gewohntem.

Seine „Soziologie der Weltbeziehung“ will der Forscher auch als neue Idee verstanden wissen, um der kapitalistischen Logik des „Immer-Mehr“ den Stecker zu ziehen. Das kommt an - nicht nur beim Erfurter Publikum. Seit Langem steht Rosas Buch auf den Sachbuch-Bestsellerlisten. Mehrfach übersetzt, wird es auch international viel gelesen. Kritiker schwärmen von der „kritischen Diagnose der Gegenwart“ und von der „Theorie allen menschlichen Lebens“. Zudem erhielt „Resonanz“ den Tractatus-Preis für philosophische Essayistik. In der Begründung heißt es, die originellen, die Fachsprache nicht meidenden, aber den Fachjargon ausblendenden Studien böten „Stoff in Hülle und Fülle, wie wir unter modernen Bedingungen leben wollen - ein Buch für alle und jeden“.

Für die Veranstalter der Erfurter Herbstlese war es eine Premiere. Gemeinsam mit der Universität Erfurt will man künftig Wissenschaft möglichst verständlich unters Volk bringen. Dieser Auftakt war da schon mal überaus vielversprechend.

Hanno Müller ist Redakteur bei der „Thüringer Allgemeinen“ in Erfurt. Dieser Text von ihm ist am 12. Oktober 2017 im Feuilleton der Zeitung erschienen.

 

Hartmut Rosa im Kultur: Haus Dacheröden

Fotos: Holger John

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