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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
April 24 2020

Gespräch mit Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig

„zweiterfruehling“ bei der Herbstlese

Monika Rettig (Foto: Lutz Edelhoff)
Monika Rettig (Foto: Lutz Edelhoff)

Wegen der ausgefallenen Buchmesse in Leipzig und den zahllosen abgesagten Lesungen, Signierstunden und Podiumsdiskussionen haben viele Bücher des Frühjahrs nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen gebührt. Die Initiative „zweiterfruehling“ ruft dazu auf, diese Neuerscheinungen ein Jahr länger in die Festivalprogramme, die Schaufenster der Buchläden und die Kulturprogramme der Medien aufzunehmen. Wie sich die Herbstlese der Kampagne von literaturhaus.net – dem Netzwerk der Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz – anschließen möchte, erklärt Programmchefin Monika Rettig.

Büchern und der Literatur verbundene Institutionen und Vereine starten gerade das Projekt „zweiterfruehling“. Was verbirgt sich dahinter?

„zweiterfruehling“ ist eine Initiative von literaturhaus.net, des Netzwerkes der Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Kampagne richtet sich an all diejenigen, deren Arbeit in der Vermittlung von Literatur besteht. Sie ruft dazu auf, die Bücher, die jetzt im Frühjahr erschienen sind und unter normalen Umständen ihren Weg zum Publikum gefunden hätten, ein Jahr länger in die Festivalprogramme, die Schaufenster der Buchläden und die Kulturprogramme der Medien aufzunehmen.

Was soll damit bezweckt werden?

Durch die ausgefallene Buchmesse in Leipzig und die zahllosen abgesagten Lesungen, Signierstunden und Podiumsdiskussionen haben diese Bücher längst nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen gebührt, und nicht die Wirkung entfalten können, die in ihren Geschichten und Themen steckt. Es geht um Solidarität mit den Autorinnen und Autoren, und es geht darum, sich dagegen zu stemmen, dass ungeheuer viel kreative Arbeit mehr oder weniger sang- und klanglos verschwindet.

Wird sich die Erfurter Herbstlese an dieser Initiative beteiligen?

Ja, der Herbstlese-Verein beteiligt sich innerhalb der Riege der Erst-Partner sehr gerne und aus Überzeugung an dieser Kampagne. Auch wir möchten im Rahmen unserer Möglichkeiten zeigen, dass Bücher eben keine schnell verderbliche Ware, keine kurzlebige Mode sind, sondern im besten Sinne nachhaltig und langlebig. Das war schon vor Corona wichtig und gar nicht so einfach angesichts der manchmal erschreckend kurzen Verweildauer von Titeln in den Buchhandlungen und auf dem Markt. Jetzt ist es umso dringender. Die Novität aus dem Februar ist auch im November noch längst kein Ladenhüter.

Gibt es erste konkrete Vorhaben und Pläne für Erfurt?

Wir überlegen derzeit, wie wir das Motto „zweiterfruehling“ und das dazugehörige Logo am Kultur: Haus Dacheröden sichtbar machen können. Die eigentliche Arbeit fließt aber in konkrete Vorhaben. Wir sind dabei, unser virtuelles Angebot deutlich auszubauen – das ist der Krise geschuldet, aber auch auf Stetigkeit angelegt. Im Internet konnten wir schon via Videoaufnahme Ingo Schulze und Klaus Jäger, die bei der „Frühlingslese“ aus bekanntem Grund ihre neuen Bücher nicht mehr vor Publikum vorstellen konnten, ihren zweiten Frühling bieten. Podcasts und Buchempfehlungen auf unserer Website ergänzen diese Unternehmungen. Auch der Book Club, das eigenständige Projekt von Sophie und Elischa, die bei uns ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, zieht vorerst um in die digitale Welt: Die beiden stellen gerade unter Hochdruck ein Video zusammen, das die Abendveranstaltung ersetzt. Und wir hoffen inständig, dass wir im zweiten Halbjahr unter hoffentlich erträglichen und umsetzbaren Bedingungen im Rahmen unserer „Herbstlese“ mehrere Autorinnen und Autoren mit ihren Frühjahrsbüchern ganz leibhaftig und vor Publikum präsentieren können. Lutz Seiler gehört dazu.

Sie erwähnten das Internet als alternatives Medium. Wie schätzen Sie es ein? Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Zahl der Besucher von Lesungen für eine nicht absehbare Zeit begrenzt scheint und es auch geboten ist, strenge Hygiene-Regelungen einzuhalten?

Das Internet und seine Möglichkeiten spielen schon heute und in Zukunft sicher noch in weitaus höherem Maße eine gewichtige Rolle in der Vermittlung und Vermarktung von Büchern. Unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie werden wir schauen, ob wir im Herbst zum Beispiel verstärkt mit Live-Streaming arbeiten, um die vermutlich deutlich reduzierten Platzkapazitäten in den Sälen auszugleichen.

Das Internet kann also kein Allheilmittel sein?

So vielfältig und reizvoll das Internet auch ist, ich glaube nicht, dass es die echte und lebendige Begegnung von Leserinnen und Lesern mit Autorinnen und Autoren ersetzen kann. Zwei Beispiele mögen das illustrieren: Wenn Judith Schalansky mit großer Ruhe und Sorgfalt am Signiertisch ein jedes ihr vorgelegte Buchexemplar aufwändig signiert und mit dem gewünschten Stempel aus ihrer mitgebrachten beeindruckenden Sammlung versieht, dann ist das einzigartig. Und wenn Martin Walser kurz vor Beginn seiner Lesung im ausverkauften Erfurter Kaisersaal auf dem Weg zur Bühne noch einmal innehält, die Augen schließt und sinngemäß zu mir sagt: „Hören Sie das Summen und Brummen im Saal? Ich liebe es!“, dann spürt man, was Publikum und Autoren einander geben und bedeuten in diesem direkten Austausch einer Live-Veranstaltung.

Wie stellt sich die Situation für das Herbstlese-Festival aktuell dar? Gibt es Planungen für Lesungen?

Ja, wir planen mit ganzer Kraft und streben eine Mischung aus „zweiterfruehling“ und neuen Herbstbüchern an. Ob das Festival den gewohnten Umfang haben wird in diesen besonderen Zeiten, kann ich jetzt noch nicht sagen. Bei der Qualität wollen wir keine Abstriche machen, das steht fest. Aber vieles liegt nicht in unseren Händen. Auch die Verlage sind Leidtragende der Krise, und ich musste in den letzten Tagen und Wochen mehrere geplante Titel wieder streichen, da ihr Erscheinen in das nächste Jahr verschoben wurde. Insgesamt spüre ich eine große Verbundenheit in der Branche und den Willen, dennoch weiterzumachen und sich nicht lähmen zu lassen. Das ermutigt, auch wenn wir alle nicht wirklich wissen, wie dieser Bücher-Herbst letztlich aussehen wird.

Kommen Sie selbst in Zeiten der Corona-Krise mehr zum Lesen als sonst? Und wenn ja, was für Bücher liegen gerade auf ihrem Schreib- oder Nachttisch?

Ich lese mehr, denn es gibt – ungewollt und aus traurigem Anlass - mehr freie Abende. Besonders genossen habe ich es in den letzten Wochen, ausgiebig Romandebüts zu lesen in Vorbereitung auf die Juryarbeit für den „Debütantensalon“ der Herbstlese. Und sozusagen ganz privat und ohne den „Hintergedanken“ einer Lesung liegt derzeit der Band „Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren“ von Christa Wolf auf meinem Nachttisch. Darin lese ich gerne vor dem Einschlafen. Es sind Journale aus dem Nachlass der berühmten Schriftstellerin über ihre Reisen in die Sowjetunion in der Zeit von 1957 bis 1989. Reisen, die sie teils alleine, teils zusammen mit ihrem Mann Gerhard Wolf unternahm, der diese Aufzeichnungen auch herausgegeben hat.

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