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Erfurter Herbstlese
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Nov. 27 2013

Klima ist Statistik

Zwei Männer, eine Mission: Frank Böttcher (links) und Sven Plöger wollen Fakten sprechen lassen. Foto: Holger John
Zwei Männer, eine Mission: Frank Böttcher (links) und Sven Plöger wollen Fakten sprechen lassen. Foto: Holger John

Jeder Mensch interessiert sich für das Wetter. Es hilft nicht nur, peinliche Lücken im Gespräch von Menschen zu überbrücken, die sich nichts zu sagen haben, es bestimmt dank Sonnenschein mit über unser Gemüt und hat in vielen Lebenssituationen – man denke nur an den Urlaub – fast schicksalhafte Bedeutung. Das Wetter ist uns vertraut, jeder kennt es, wir können es fühlen und spüren.

Ganz anders das Klima. Das hat noch niemand gesehen. Wie auch, ist es doch zunächst eine Ansammlung statistischer Größen, deren entscheidende Komponente die Zeit ist. Viel Zeit. Das Klima ist ein besonderes Phänomen. Wissenschaftler und Politiker werden nicht müde, seine Bedeutung, besser die seines Wandels, zu betonen. Der Weltklimarat, auch unter seiner etwas sperrigen Abkürzung IPCC  bekannt, ist Ausdruck dieser Bedeutung. Erst 1988 von den Vereinten Nationen gegründet, um alle wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel zusammenzutragen, erhielt die Organisation schon 2007, keine 20 Jahre später, zusammen mit  Al Gore den Friedensnobelpreis.

Damit nicht genug. Erst im September legte der Rat seinen 5. Sachstandsbericht vor. Danach sind 95 Prozent der Wissenschaftler weltweit in ihren Publikationen der festen Überzeugung, dass die Erderwärmung auf menschliches Handeln zurückzuführen ist. Genauer auf das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas für das Heizen, in der Industrie oder für unsere Fortbewegungsmittel. Der Klimawandel ist menschgemacht, so ihr Fazit.

95 Prozent aller Wissenschaftler. Das ist ein großer, der übergroße Teil der forschenden Elite. Doch je sicherer sich die Experten werden (2007 waren es „nur“ 90 Prozent), umso mehr Skepsis schlägt ihnen entgegen. Die Leute glauben ihnen einfach nicht. Den meisten gehen die Folgerungen, in Deutschland unter dem Begriff Energiewende bekannt, einfach zu weit. Der Politik fehlt regelmäßig der Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen. Gerade erst letzte Woche ging die Weltklimakonferenz in Warschau ohne greifbare Ergebnisse zu Ende.

Es ist zum Haare raufen. Frank Böttcher und Sven Plöger, beide Meteorologen, halten es nicht mehr aus. Vor einem dreiviertel Jahre beginnen die beiden ein kleines Büchlein. Jetzt liegt „Klima Fakten“ in den Buchhandlungen. Die zwei stellen es im Atrium der Stadtwerke vor. Das Interesse ist groß, alle Sitzreihen sind besetzt. Ob es nur an Wettermann Plöger liegt, der regelmäßig vor der Tagesschau eine Voraussage für Niederschläge, Winde und Temperaturen wagt? Die Herren legen los.

Sie finden Skepsis gut. Man darf sich nicht alles unterjubeln lassen. Und sie sind auch nicht unterwegs im Dienste irgendeiner Partei oder Ideologie. Sie wollen einfach nur zeigen, wie es ist. Wie sich unsere Welt verändert, ohne dass wir es fühlen oder spüren können. Denn das was wir merken, was wir an Veränderungen mitbekommen, ist Wetter, nicht Klima. Klima ist Statistik.

Ein Beispiel gefällig? Der letzte Winter war hart und lang. Nichts da mit Erderwärmung? Doch, sagt Sven Plöger, auf der gesamten nördlichen Halbkugel war es wärmer als im langjährigen Mittel.

Damit ist ein Punkt genannt, der die Sache schwierig macht: Die extremen Wettersituationen. Als Folge der Klimaveränderungen ist das Wetter langsamer, unbeweglicher geworden. Hängt ein Tiefdruckgebiet irgendwo fest, ist die Gefahr groß, dass die gesamten Niederschläge auf relativ kleiner Fläche niedergehen es ist erst vorbei, wenn kein Wasser mehr da ist. Liegt das Regenwetter nun blöderweise über dem Einzugsgebiet eines großen Flusses, steigen die Pegel, das Hochwasser kommt.

Andererseits können Hitzeepisoden länger anhalten oder der Frost macht es sich klirrend, gefühlt für die Ewigkeit, in der Landschaft gemütlich. Bei solcher Kälte ist es dann nicht weit bis zum Galgenhumor: Es ist arschkalt, und die Herren Experten reden von Erderwärmung.

Das ist das Problem. Sven Plöger und Frank Böttcher zeigen, wohin die Reise geht. Noch mehr Ausstoß von Kohlendioxid und das Klima verändert sich weiter schleichend. Das Wetter aber, das spielt verrückt.

Schuld sind wir. Da lassen die beiden keinen Zweifel. Natürlich gibt es Schwankungen, die gibt es schon immer. Klar wechseln sich Kalt- und Warmzeiten ab, immer wieder kommen erst die Gletscher aus dem Norden, und machen sich später die Wälder, wenn es wieder wärmer wird, in der Gegenrichtung auf die Reise. Immer schon spielte die Aktivität der Sonne eine Rolle für das Klima auf der Erde. Richtig ist auch, dass unser Planet mal etwas näher und dann wieder ein Stück weiter weg um die Sonne kreist.

Doch all das kann den messbaren Klimawandeln nicht erklären, das kann nur die Zunahme klimarelevanter Gase, namentlich Kohlendioxid und mehr und mehr Methan. Und diese Gase kommen in die Atmosphäre, weil so viel brennt: Regenwälder, Motoren, Heizungen. Seit Beginn der Klimakonferenzen 1990 in Rio ist der Ausstoß an Kohlendioxid um mehr als die Hälfte gestiegen, um 53 Prozent, sagt Sven Plöger.

Es nervt ihn und seine Kollegen, dass trotz aller Dramatik nichts bis wenig passiert. Sein Vorschlag: Diejenigen, die mit dem Schlamassel angefangen haben, sollten damit auch als erste wieder aufhören. Der Rest der Welt käme dann schon nach. Sein Argument klingt einfach. Die Chinesen wissen in ihren Industriegebieten heute schon gar nicht mehr, was ein blauer Himmel ist. Sie können die Auswirkungen des Klimawandels täglich spüren. Also könnte es laufen wie immer, schlägt Sven Plöger vor. Die Deutschen fangen an, und die Chinesen machen, was sie am besten können: Sie machen nach.

Es sind sehr intensive 90 Minuten im Atrium. So intensiv, dass es danach keine Frage aus dem Publikum gibt. Viele kaufen sich aber das Büchlein. Es kann ja nicht schaden, die Fakten griffbereit zu Hause zu haben.

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