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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 02 2022

Dörte Hansen stellt ihren dritten Roman „Zur See“ im Haus am Breitstrom vor

„Ein literarischer Triumph“

Premiere mit dem dritten Buch: Dörte Hansen las zum ersten Mal in Erfurt. (Foto: Uwe-Jens Igel)
Premiere mit dem dritten Buch: Dörte Hansen las zum ersten Mal in Erfurt. (Foto: Uwe-Jens Igel)

Von Sigurd Schwager

Premierenstimmung auf der Herbstlese-Bühne. Als der rauschende Willkommensapplaus im Saal verebbt ist, schickt Herbstlese-Debütantin Dörte Hansen ihrem Dank ein Geständnis hinterher: „Ich war noch nie in Erfurt.“ Wirklich eine schöne Stadt sei das, eine liebliche Gegend. „Es muss“, sagt die Dame aus Husum, „nicht immer Nordsee sein.“

Muss es aber wohl doch. Schließlich liebt das zahlreich erschienen Publikum ihre Bücher gerade deshalb, weil man hier in melancholische Geschichten aus ihrer Heimat einer vergehenden Welt eintauchen kann und dabei immer wieder Menschen auf dem Meer, am Meer oder am Wasser nahe beim Meer begegnet. So gesehen darf man es auch eine Fügung nennen, dass die tief binnenländische Erfurter Lesung in einem Gemäuer namens Haus am Breitstrom stattfindet.

Auch wenn sie sich selbst nie so bezeichnen würde: Diese Autorin von der Nordseeküste ist inzwischen ein Star der neueren deutschen Romanwelt, allerdings ein Star der leisen Art und obendrein ein Exemplar aus der kleinen Gilde derer, die von großer Leserschaft und Großkritik gleichermaßen gemocht wird.

Man mag es kaum glauben: Noch vor zehn Jahren ist die journalistisch tätige und in Soziolinguistik promovierte Frau Doktor Hansen ein literarisch völlig unbeschriebenes Blatt. Doch 2012 gibt sie ihrem Leben eine neue Bahn, kündigt den Job als Redakteurin beim Norddeutschen Rundfunk und wagt den riskanten Sprung ins Freischaffende.

Das Ziel ist auch schon klar: Ein Roman soll es werden. Auf die Frage, woher sie damals den Mut genommen habe, antwortet Dörte Hansen Jahre später in einem Alumni-Interview der Universität Hamburg: „Ich ging auf die Fünfzig zu und dachte: jetzt oder nie! Aber so tollkühn war die Entscheidung gar nicht, weil ich auch als Journalistin lange und gern frei gearbeitet habe. Wenn es mit dem Roman nicht geklappt hätte, dann hätte ich wieder Reportagen geschrieben, Features gemacht – und hin und wieder ein bisschen Existenzangst geschoben.“

Und in diesem Zusammenhang auch nicht ganz unwichtig: „Zu wissen, dass ich die Puste habe, drei Jahre an einem Projekt zu arbeiten und es dann auch wirklich abzuschließen, hat mich beim Romanschreiben über einige Durststrecken getragen.“

Der Rest ist Geschichte. Erfolgsgeschichte 2015 erscheint ihr erster Roman „Altes Land“. Er beschert der Spätstarterin einen traumhaften Zieleinlauf. Mit ihrem Buch kapert sie dauerhaft landauf, landab die Bestsellerlisten. Der Fernseh-Zweiteiler in großer Besetzung ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Drei Jahre dauert es bis zu ihrem zweiten Roman „Mittagsstunde“ in die Buchhandlungen. Nach dem fulminanten Debüt ist 2018 die Fallhöhe natürlich ziemlich hoch, und mancher Sekptiker zur Stelle. Doch auch das neue Buch wird wieder ein Ereignis.

Und nun, im Herbst 2022, gibt es Dörte Hansen fast zeitgleich sogar im Doppelpack: „Mittagsstunde“ als Kinofilm und den dritten Roman. Er heißt „Zur See“ und erzählt vom Leben einer Nordseeinsel-Familie. Diesmal hält sich die Überraschung in engen Grenzen. Wie erwartbar sind aller guten Hansen-Dinge drei. Weil wir gerade bei Zahlen sind: Sieben Schriftstellerinnen-Jahre, drei gefeierte Roman, sieben literarische Preise – Was für eine Zwischenbilanz!

Herbstlese-Stammfinalist Denis Scheck lobt „Zur See“ druckfrisch in der ARD: „Dörte Hansen schreibt einfühlungsreich und sprachgewaltig über Menschen an einem besonderen Ort, wo die Zäune um die Kapitänshäuser aus Walknochen bestehen, die Angst vor der Monsterwelle in den Alkoholismus führt und man sein Leben an den Rhythmus der Touristenfähren anpasst. Dieser Roman enthält die komplette DNA einer deutschen Nordseeinsel: ein literarischer Triumph.“

Volker Weidermann singt in der Zeit das Hohe Lied so: „Jeder Satz eine norddeutsche Songzeile.“

An diesen Kritiker-Satz muss der Berichterstatter denken, als Dörte Hansen in Erfurt schildert, wie lange und wie hart sie daran gearbeitet habe, den richtigen Sound, die richtige Tonart für den neuen Roman zu finden.

Um das „Zur See“-Personal vorzustellen, liest sie aus dem neuen Buch fünf Passagen, die sie jeweils mit ergänzenden Anmerkungen versieht. Man erlebt, dass es ihr Freude bereitet, mit dem Publikum direkt zu kommunizieren, dass sie an Fragen und Meinungen ernsthaft interessiert ist. So kommt es trotz der abweisenden Saalgröße ohne jede Kunstpause zum munteren Gespräch.

Da geht es um Recherche und Phantasie, reale Charaktere und fiktive Inseln, um die Buddenbrooks von Thomas Mann und die Schiffsmeldungen von Annie Proulx, um Moby Dick von Herman Melville und den Sprachrhythmus von Dylan Thomas, um die Hörbuch-Stimmkunst von Hannelore Hoger und Nina Hoss sowie um den hoch- und plattdeutschen Charly Hübner. Vom Wal-Buchcover bis zu den Mühen der Dichter-Ebene reicht die Neugier. „Ich setzte mich jeden Tag stur in mein Büro in Husum“, beschreibt die Autorin ihren Alltag. Und wenn die Inspiration ausbleibe? „Dann arbeite ich trotzdem weiter.“

Die kundigen, detailreichen Fragen und Nachfragen veranschaulichen, dass sich das Publikum gern in ihren Romanwelten aufhält. Ein besonders schönes Kompliment an Dörte Hansen geht so: „Es gibt sie, wenn auch nur selten. Diese Bücher, in die man sich gleich nach wenigen Sätzen rettungslos verliebt.“

Der Erfurter Schlussbeifall beglaubigt das akustisch und die lange Schlange am Signiertisch optisch.

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