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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Okt. 30 2022

Stefan Schwarz erzählt, wie er Krebs bekam und sein Leben aufräumte

„Diese Große Pause meines Lebens“

Ein Stefan Schwarz in Höchst-, in Bestform, fasste Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig den Abend zusammen.
Ein Stefan Schwarz in Höchst-, in Bestform, fasste Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig den Abend zusammen.

Von Sigurd Schwager

Wenn die Erfurter Herbstlese außer köstlicher Schokolade für ihre Gäste nach besonders heiteren Stunden auch einen Dr. humoris causa zu vergeben hätte, dann wäre Stefan Schwarz dafür der ideale Kandidat. Die große Fangemeinde liebt den feinen Humor seiner Bücher und vielleicht noch mehr die öffentliche Präsentation derselben mit dem Verfasser als Gesamtkunstwerk. Was das hiesige Publikum mehrfach im ausverkauften großen Saal der Erfurter Oper erleben durfte, gehört nach den natürlich unübertroffenen Auftritten des unvergessenen Harry Rowohlt zum Vergnüglichsten der an Vergnügungen durchaus reichen Herbstlese Geschichte.

Nun also: Fortsetzung folgt. Wieder ein volles Opernhaus. Wieder das karge Bühnenbild mit Stuhl und Tisch, Wasserflasche und -glas, Lampe und Mikrofon. Wieder ein neues Buch. Wieder der Autor als Ich-Erzähler. Aber wer ihm „Bis ins Mark“ folgt, der merkt sofort den gravierenden Unterschied zu all dem, was er bislang geschrieben hat: Diesmal nämlich ist Ich kein anderer. Hier erzählt der Schriftsteller Stefan Schwarz vom Menschen Stefan Schwarz, der im Herbst 2019 als 54jähriger von seiner unheilbaren Krankheit erfährt und damit umzugehen versucht. Untertitel: „Wie ich Krebs bekam und mein Leben aufräumte“.

Das Buch sei eine Ermutigung, sagt Monika Rettig in ihren wie immer einfühlsamen Begrüßungsworten. Und die Herbstlese-Programmchefin flicht mit Bedacht den allerletzten Satz aus dem Buch ein: „Ich weiß jetzt, wie man nicht verzweifelt.“

Sieben Wörter, die dem Abend einen Halt geben werden. Ähnliches hatte man bereits am Frühstückstisch beim Blick in die TA lesen können. Dort antwortet Stefan Schwarz auf die Frage, wie es ihm heute gehe: „Gut. Ich war unterwegs zur Nachtseite des Lebens. Jetzt bin ich zufrieden mit mir.“ Das sei ja sowieso das Geschenk des Krebses, dass man jeden Tag ohne Schmerzen schätzen lerne.

Jetzt im weiten Theater und bedankt sich Stefan Schwarz sichtlich bewegt für den überaus herzlichen Begrüßungsapplaus. Dann macht er, ganz der Alte, die üblichen Erinnerungsfotos von seinem Publikum, plaudert mit ihm und verspricht, dass es sowohl traurig als auch lustig zugehen werde. Sein Buch, sagt er, sei eine Ermunterung und Humor in einer existentiellen Situation wichtig. Gerade, erzählt er genüsslich schmunzelnd, sei ihm die erste butterweiche Roulade seines Lebens gelungen. Das wäre doch nun wirklich schade gewesen, wenn ihn der Krebs schon vorher geholt hätte.

An dieser Stelle sammelt Chefkoch Schwarz die ersten Lacher des Abends ein, denen noch viele weitere folgen werden, die sich mit den stillen Publikumsmomenten gut vertragen. Die erste längere Lesepassage gilt dem Eröffnungskapitel, das mit „Unheil“ überschrieben ist: „‚So!‘ sagte der Oberarzt. Wenn einer einfach nur ‚So!‘ sagt im Deutschen, dann bedeutet das was. Mit ‚So!‘ hört etwas auf. Mit ‚So!‘ fängt etwas an. ‚So!‘ heißt in meinem Fall: Sie haben eine Diagnose...Was immer mir der Oberarzt jetzt nach seinem entschiedenen ‚So!‘ sagen will, ist nur der Namen für etwas, das ich schon ahne. Ich habe den Tod in mir. ‚Sie haben Knochenmarkkrebs!‘ So. Ich dachte, es geht vorbei. Das war ein Irrtum. Ich gehe vorbei.“

Insgesamt zwei Stunden, inklusive Pause, dauert die Lesung. Auf Verzweiflung folgt Trost und auf Trost Verzweiflung.  Diagnose, Therapie, Entlassung, Nachbehandlung. Stefan Schwarz nimmt uns mit auf eine Reise, die weit mehr als eine lebensbedrohliche Krankengeschichte ist. Sie führt in die Kindheit und Jugend, zur Mutter und zum Vater, dem Stasi-General, und wieder zurück zu den eigenen Kindern, zur Familie. „Das ist doch der ganze Sinn von Krebs. Dass man aufhört, sich und anderen was vorzumachen, dass man aufwacht und sich die Augen reibt.“

Und noch ein Schwarz`scher Buchsatz bleibt hängen: „Es wäre frivol zu sagen, dass dieser Krebs das Beste ist, was mir passieren konnte, aber ich habe in dieser Großen Pause meines Lebens so viel gelernt, wie ich es anders kaum hätte lernen können.“

Dem Erfurter Publikum dürfte es am Ende der Veranstaltung so gegangen sein wie dem Komiker Jürgen von der Lippe bei der Lektüre des Buches: „Ich bin zutiefst be- und gerührt, hin und weg - vom Fan zum Bewunderer.“

Rauschender Beifall in der Oper. Man habe heute einen Stefan Schwarz in Höchst-, in Bestform erlebt, sagt Monika Rettig. Wer wollte ihr da widersprechen?
 

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