Martin Walser kommt wieder in den Kaisersaal
Ein klärendes Wort
Von Dietmar Herz
Martin Walser, Günter Grass, Siegfried Lenz – von den drei großen noch lebenden Epikern Deutschlands, die ihr Werk in der Nachkriegszeit begannen, ist Walser wohl der Vielseitigste: Gesellschaftsromane, die im Westdeutschland der fünfziger und sechziger Jahre angesiedelt sind, politische und literarische Essays, Theaterstücke, Polemiken und Reden, wie die berühmte „Rede über das eigene Land“, in der er die deutsche Teilung „als schmerzende Lücke“ bezeichnete, und wie die zumindest missverständliche Rede in der Paulskirche, anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, in der er über eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ sprach.
Später folgten polemische Romane zur Literatur- und Tagespolitik, die Auseinandersetzung mit dem Altwerden, die späte Hinwendung zur Theologie, die seine jüngsten (großen) Arbeiten kennzeichnet: „Gott fehlt. Mir.“ So endet seine theologische Streitschrift „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“. Das in vielen seinen Büchern thematisierte Scheitern seiner Helden am Leben erhielt so eine neue und tiefere Deutung.
Nur wenige Autoren haben ein solches Werk aufzuweisen. Und jetzt – in der Auseinandersetzung mit dem großen, jiddisch schreibenden Autor Sholem Yankev Abramovitsh – spricht er endlich auch ein klärendes Wort zur Thematik der unseligen Paulskirche-Rede: „Wir, die Deutschen, bleiben die Schuldner der Juden. Bedingungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen jeder Art. Wir können nicht mehr gutmachen. Nur versuchen, weniger falsch zu machen.“ Damit ist gesagt, was gesagt werden musste.
In diesem Herbst legte Martin Walser den vierten Band seiner Tagebücher vor. „Leben und Schreiben“ waren die drei früheren Bände (1951-1978) betitelt, der vierte Band kehrt diese Bezeichnung um: „Schreiben und Leben“. Das Schaffen, ja die Erschaffung des literarischen Werkes erst gibt dem Leben des Schriftstellers – bei Gefahr des Scheiterns − seinen Sinn. Die Tagebücher gehören mit ihren Erzählungen von Erlebnissen, Ängsten und Gefühlen, Träumen und der Chronik eines Schriftstellerlebens zu diesem literarischen Werk.
Scheinbar Belangloses steht neben seinen Neidgefühlen, wenn andere Autoren literarische Erfolge feiern; er berichtet über Reisen, seine Familie und das Entstehen seiner Werke in diesen Jahren. Die Aufzeichnungen erfassen das Ende der siebziger und den Beginn der achtziger Jahre (1979-1981): Eine Zeit der beginnenden Ernüchterung, die zugleich Angst und Befürchtung ist: nach der Aufbruchsstimmung der sechziger und siebziger Jahre. Auch der Tagebuchschreiber konstatiert schon am Anfang der Einträge eine ihn beängstigende Ernüchterung: „Wie wenn ich nie mehr etwas arbeiten wollte. Die Angst, die Neigung zur Arbeit sei ein für alle Mal verflogen. Dann müsste ich mich zur Arbeit zwingen. Das wäre unangenehm. Ich traue mir diese Kraft nicht zu. Dann wäre es also aus. Ich saß bisher ziemlich leichtsinnig an der Quelle und fing mit beiden Händen auf, was kam, und hätte zufrieden sein sollen. Jetzt werde ich erfahren, was das ist, arbeiten", notiert er.
Das Tagebuch illustriert diese Arbeit: Es dokumentiert die Erschaffung einer literarischen Welt oder einfach gesagt: Das Schreiben.
Martin Walser liest am Dienstag, den 7. Oktober, 20.00 Uhr im Erfurter Kaisersaal. Tickets zu 12,90 Euro (ermäßigt 10,90 Euro) gibt es noch in der Herbstlese-Geschäftsstelle in der Marktstraße, bei den an das Thüringen-Ticket angeschlossenen Vorverkaufsstellen und dessen Online-Shop sowie an der Abendkasse.