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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
April 08 2017

Matthias Brandt und Jens Thomas reisen mit „Raumpatrouille“ und „Memory Boy“ durch den Kosmos ihrer Kindheit

„Besser als die Stimme von Pa aus Bonanza“

„Dieses Buch wäre ohne unsere Freundschaft in der Kunst und im Leben nicht entstanden.“ Sagt Matthias Brandt über „Raumpatrouille“ Jens Thomas.
„Dieses Buch wäre ohne unsere Freundschaft in der Kunst und im Leben nicht entstanden.“ Sagt Matthias Brandt über „Raumpatrouille“ Jens Thomas.

Von Sigurd Schwager

Den vielleicht intensivsten Abend ihre Geschichte verdankt die Herbstlese dem Schauspieler Matthias Brandt und dem Musiker Jens Thomas. Beängstigend gut hatten sie 2015  im Erfurter Theater einen Albtraum zelebriert, eine Feier der Künste auf den Flügeln der Angst. Das Publikum hielt den Atem an und war hin und weg.

Jetzt sind Brandt und Thomas wieder auf selbiger Bühne zu erleben, und natürlich kommt das Erfurter Publikum erneut in hellen Scharen in den großen Saal. Es ist Frühling und Angst diesmal nicht ihr Thema, sondern die Kindheit. Statt fremder Texte  gibt es eigene, denn inzwischen wissen wir: Der wunderbare Schauspieler Matthias Brandt kann nicht nur mit dem Wort der Anderen  ganz vorzüglich umgehen.

Sehr zu Recht hat er für sein literarisches Debüt „Raumpatrouille“, das 14 Geschichten vereint, gleichermaßen viel Leser- und Kritikerlob erfahren. Der Erstling als Bestseller.

Schon beim Erscheinen des Buches war klar, dass der Autor nicht als Solist auf Lesereise gehen würde.  Am Ende von „Raumpatrouille“ schreibt er: „Die in diesem Buch enthaltenen Geschichten sind auch Teil eines Projektes mit meinem Bühnenpartner, dem Musiker Jens Thomas. Viele von ihnen korrespondieren mit Songs auf dessen neuem Album Memory Boy, das zeitgleich bei Roof Music erscheint. Raumpatrouille und Memory Boy entstanden parallel und in ständigem Austausch, mal entwickelte sich der Song aus einer Geschichte, dann wieder war es andersherum. Text und Musik werden sich in einer gemeinsamen Bühnenarbeit begegnen und verweben. Dieses Buch wäre ohne unsere Freundschaft in der Kunst und im Leben nicht entstanden.“

 Begegnen und verweben, so darf man sich in etwa den Verlauf des Abends vorstellen. Brandt trägt seine Geschichten vor, erlebt sie dabei mit Haut und Haar noch einmal. Thomas bereitet sie musikalisch vor, begleitet sie, erzählt sie weiter. Die Musik zum Film. Manchmal stimmt Brandt ein, und am Ende singen sie gemeinsam „My Nowhere Man“.

Beide agieren auf Augenhöhe, aber das Wort ist gegenüber dem Klang im Vorteil.  Wer das Buch liest oder dem Bühnenvortrag lauscht, der sieht vor sich den heute berühmten Schauspieler als Sohn des weltberühmten Vaters, des vierten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Gern und interessiert hört man Geschichten aus dem alten Bonn mit dem netten Herrn Lübke oder dem Herrn Wehner.

Obwohl die Kindheitsgeschichten  sehr detailreich sind, bleibt der unangestrengte Erzählton immer feinsinnig zurückhaltend. Melancholie trifft Humor.  Wo das Wirkliche endet und die Phantasie zu blühen beginnt, lässt sich kaum ergründen. Man muss sich also an die drei ersten Sätze des Buches halten: „Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt. Manches von dem, was ich erlebt habe, hat stattgefunden.“

In Erfurt erleben wir unter anderem wie das Kanzlerkind bei seinem Freund Holger übernachten und Sehnsucht nach familiärer Normalität ausleben darf. Wir lernen den stotternden Außenseiter und Prügelknaben Ansgar kennen, der sich nie wehrt und seinerseits Tiere quält. In diesem Kapitel taucht auch zum ersten und einzigen Mal der Name Brandt auf, als Ansgar zum Kanzlersohn  sagt: „B-b-brandt an d-die W.-w-w-wand. V-v-vaterlandsverräter.“

Vor allem aber treffen wir immer wieder auf ein (streng bewachtes) Kind, das viel allein ist. „Keiner da.“ So beginnt schon die allererste der Geschichten.

Die allerletzte, die das Buch und  das Programm in Erfurt beschließt, ist die berührendste. Darin fasst der Junge einmal seinen ganzen Mut zusammen und wagt sich vor ins Arbeitszimmer des Vaters, der am Schreibtisch eingeschlafen ist und schnarcht. Dann wacht er auf und irgendwann geschieht das Unglaubliche: Der Kanzler-Vater erfüllt dem Sohn die Bitte und liest ihm vor. „Irgendwo in meinem Bauch vibrierte seine Stimme, die noch besser klang als die von Pa aus Bonanza. Das alles wollte ich nicht loslassen, und während ich das dachte, schlief ich ein.“

Rare Glücksmomente  einer Kindheit der etwas anderen Art.

Als die Musik verklungen ist, umarmen und verbeugen sich Matthias Brand und Jens Thomas. Das Publikum schenkt ihnen Beifall in Hülle und Fülle.

 

Matthias Brandt und Jens Thomas im Theater Erfurt

Fotos: Holger John

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