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Sept. 21 2013

Am Sonntag ein Kanzler

Ein Mann, viele Gesten. Oliver Schmitt gibt dem Wahlvolk, was es braucht.  Foto: Holger John
Ein Mann, viele Gesten. Oliver Schmitt gibt dem Wahlvolk, was es braucht. Foto: Holger John

Knapp zwei Tage vor der Bundestagswahl scheint deren Ausgang völlig ungewiss. Letzte Umfragen sehen ein Patt zwischen Regierung und Opposition. Dazu kommt das Zittern der kleineren Parteien um den (Wieder-)Einzug in den Reichstag. Also alles offen?

Nicht ganz. Für Die PARTEI ist dieser Urnengang entschieden. Der Kanzler, für sie ganz klar, heißt ab Sonntag Oliver Maria Schmitt.

Als eine Lesung getarnt haben sie zur Abschlusskundgebung in den Erfurter Club Franz Mehlhose geladen.  Dort, umgeben von Plakaten wie „Das Bier entscheidet“, „Merkel ist doof“ und „Matschie verschrotten“ setzen sie auf die Argumentationskraft ihres Spitzenkandidaten. Es geht um nicht weniger als „Mein Wahlkampf“, das Buch Schmitts, das die Machtübernahme durch Die PARTEI vorbereitet und theoretisch begründet.

Als Schmitt auf die Bühne springt, begleitet von Musik und dem Beifall des Publikums, wird die Zielrichtung des Abends schnell klar. Es geht um „inhaltsleere Politik“, eine Abrechnung mit allem, was die Berliner Politik am Kreiseln hält, auf kommunaler wie auf höchst bundespolitischer Ebene. Das kommt mit Krawall, mit Ironie, ist manchmal erschreckend flach und ab und an richtig böse.

Schmitt, gekleidet in einen roten Anzug aus irgendeiner Kunstseide, weiß, wovon er spricht. Seit seiner Jugend in Heilbronn ist er immer wieder zu Wahlen angetreten. Als Kandidat für das Rathaus seiner Heimatstadt, den Landtag von Baden-Württemberg und, vor zwei Jahren erst, für das Amt des Oberbürgermeisters in seiner Wahlheimat Frankfurt/Main. Damals holte er 1,8 Prozent. Er kennt die Regeln der Straße und hat die wichtigste verinnerlicht: Dem Wähler, wo es nur geht, nach dem Maule reden. Es geht nur um Stimmen, alles andere ist Wurst.

So wähnt sich Oliver Schmitt, erfahren durch viele Einsätze am Tapeziertisch und unter dem Sonnenschirm, bei Würstchen aus dem Glas, kaltem Glühwein und beschleunigter Marschmusik, auf der sicheren Seite. Entweder die Leute sind intelligent, dann verstehen sie die Ironie und er hat sie im Sack. Oder sie nehmen seine kruden Parolen für bare Münze – und wählen ihn erst recht.

Ganz so einfach machte es sich der Wahlkämpfer dann aber doch nicht. Gut drei Stunden, unterbrochen von einer (Raucher-)Pause, entwickelt er sein politisches Programm, das natürlich gar keines ist: Ihm geht es nur um sich. Darum will er, erst einmal ins Kanzleramt  gewählt, nichts tun, denn nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Die kann sich Schmitt nicht leisten. Er braucht eine Wiederwahl, nur zwei Legislaturperioden sichern ihm volle Ruhestandsbezüge.

Diese Art Witz zieht sich durch den Abend. Mal ist es lustig („Wir müssen die Wirtschaft stärken, vor allem die Vetternwirtschaft!“) mal wird es ein wenig banal („Ich habe Sie vorhin ein bisschen angelogen; das muss ich tun, damit ich als Politiker glaubwürdig bleibe.“). Vor allem aber zieht sich der Abend bis zu seinem erklärten Höhepunkt, der Erfurter Rede.

Spätestens jetzt ist die Performance wichtiger als der Inhalt. Mit Hall und entschlossener Gestik zitiert der Redner die Wegmarken seiner Zunft: Cato, Sportpalast und JFK lassen grüßen.

Der Freude im Publikum tut das keinen Abbruch. Auch die PARTEI freut sich. Ihre Aktivisten sammeln den ganzen Abend fleißig Unterschriften. Zu den 4000 Unterstützern, die sie nach eigenen Angaben für eine Zulassung für die kommende Europawahl braucht, zählen jetzt einige Thüringer mehr.

Dann noch ein Höhepunkt. Der Landesverband hat Oliver Schmitt ein besonderes Präsent gebastelt, der Landesvorsitzende überreicht dem Spitzenkandidaten und Ehrenvorsitzenden den „Goldenen Redner“. Der dankt gerührt, erklärt die Versammlung für beendet, nimmt am Büchertisch Platz und signiert fleißig.

Wie bei einer richtigen Lesung.

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