Hans-Dieter Schütt stellt zur Erfurter Herbstlese im Kaisersaal Dieter Manns autobiographische Gespräche vor
Schöne Vorstellung mit Beifall für einen Abwesenden
Von Sigurd Schwager
Erstaunliches trägt sich zu an diesem Abend: Obwohl jeder wissen konnte, dass Dieter Mann, auf den sich die Herbstlese-Gemeinde besonders gefreut hat, nicht kommen wird, bleibt im Erfurter Kaisersaal kaum ein Platz frei, brandet später immer wieder Beifall für den Abwesenden auf. Das Publikum weiß, dass der Schauspieler, der an Parkinson leidet, sich nur
noch wenige öffentliche Auftritte gestattet.
Erfurt sollte eine solche Ausnahme sein. Da jedoch nicht jeder eiserne Wille Berge versetzt, hat er schweren Herzens abgesagt. Die „Schöne Vorstellung“ muss ohne ihn stattfinden.
„Schöne Vorstellung“ heißt und verspricht ein neues Buch über das Leben von Dieter Mann. Dabei wollte der heute 75jährige die Welt keineswegs mit seinen Erinnerungen behelligen. Aber zum Glück hat sich der Journalist Hans-Dieter Schütt, der wie Dieter Mann das Theater und die Sprache liebt, nicht entmutigen lassen und dem großen Schauspieler mit
15 Jahren Hartnäckigkeit eine „Autobiographie in Gesprächen“ abgetrotzt.
Nun also sitzt Hans-Dieter Schütt im Kaisersaal allein auf der Bühne. Ganz allein ist er natürlich nicht. Der herzliche Applaus trägt ihn, und Dieter Mann schaut dabei vom Buchcover aus zu. Als wolle er ermuntern: Schöne Vorstellung!
Schütt liest, was Mann gelesen hätte, und Eigenes jenseits der Gesprächssituation. Den Buch-Prolog des Mimen, der davon erzählt, dass er seinen Beruf immer als eine Arbeit am Möglichkeitssinn verstanden habe. Das Mann‘sche Lieblingswort von Kurt Tucholsky: „Die Leute blicken immer so verächtlich auf vergangene Zeiten . . . Die von damals hatten vieles noch nicht. Aber wir haben vieles nicht mehr.“
Schütt erinnert an die ungezählten Rollen, die Dieter Mann spielte, nie zu viel und nie zu wenig. Rosows Wolodja und Lessings Tempelherr, Goethes Clavigo und Plenzdorfs Wibeau, Shakespeares tragische Charaktere und Tschechows zynische Herren. So wird das Buch auch zur Liebeserklärung an die Bühne seines Lebens in Berlin, Schumannstraße 13a.
„Das Deutsche Theater Berlin, zu dessen Protagonisten Dieter Mann Jahrzehnte rechnete“, schreibt Henryk Goldberg in der „Thüringer Allgemeinen“ in Betrachtung des Herbstlese-Abends, „war in der DDR ein Refugium großer, kostbarer Schauspielkunst, ein Schutz- und Schallraum für Künstler und Publikum. Und war zugleich ein Raum der Erbarmungslosigkeit: Wer hier sichtbar werden wollte, der musste sich messen mit den Besten des Gewerbes, das Maß dieses Hauses hieß nicht DDR, es hieß: Welt. Und Dieter Mann wurde von diesen Weltklasse-Schauspielern noch geschätzt, nachdem er sieben Jahre ihr Intendant war, das beschreibt die Persönlichkeit.“
Hans-Dieter Schütt hat zur Erbauung des Publikums auch Tonaufnahmen aus dem Welt-Haus mitgebracht: Dieter Mann und Eberhard Esche sind da in einer Moliere-Persiflage von 1996 zu hören, besser: zu erleben. Außerdem gibt es im Kaisersaal auf einer Leinwand bewegte Bilder mit Dieter Mann.
Sie sind komplett unspektakulär und gerade dadurch wirkungsmächtig. Ein Mann, ein Charakter, ein Künstler. Ihn beeindrucke, sagt Hans-Dieter-Schütt, die große Ehrfurcht, die
dieser Mann vor der Kunst habe. Dass da einer ein weißes Hemd anziehe und das Rauchen einstelle, bevor er eine Schallplatte höre.
Das Vorgelesene und das Erzählte. das zum Teil nicht im Buche steht, die Hörproben und die Filmszenen, die berührenden Geschichten und die netten Anekdoten – das alles fügt sich tatsächlich zu einer schönen Vorstellung für und mit Dieter Mann.
Oder um es mit den letzten Worten des Buches auf den Punkt zu bringen: „Theater eben! Leben.“ Dafür hat sich Hans-Dieter Schütt den Beifall und die obligaten Brückentrüffel redlich verdient.
PS: Die edle Süßigkeit gibt es selbstverständlich auch für Dieter Mann. Das Päckchen ist unterwegs. Mit den besten Grüßen von der Herbstlese und ihrem Publikum.
Hans-Dieter Schütt im Kaisersaal
Fotos: Holger John