Drei Debütanten in der Mehlhose
Kulturcafé wird zum literarischen Salon
Von Martin Moll
Wie entscheidet sich der Einzelne? Ein fünfjähriges Mädchen bricht Omas Gesetz und rennt über die Straße; dorthin, wo es nicht alleine hin darf. Ein „PR-Manager“ dreht und wendet selbst skandalträchtige Ereignisse so stark, dass sie sich gut verkaufen lassen. Und eine Cellistin fragt sich, wie sie trotz drohenden sozialen Abstiegs ihren Seelenfrieden finden kann.
Drei ganz unterschiedliche Autoren stellen sich und ihre ersten Romane dem Publikum beim diesjährigen Herbstlese-Debütantensalon im ausverkauften Kulturcafé „Mehlhose“ vor. Kristine Bilkau, Karl Wolfgang Flender und Julia Jessen haben jeweils eine halbe Stunde Zeit, aus ihren Erstlingswerken zu lesen und im Dialog mit Moderator Hanno Müller Themen und Motive ihrer Texte tiefer zu ergründen.
Das ist für das Publikum ein Fest. Wo sonst sind in kurzer, aber nicht zu rasanter Zeit drei Autoren live zu erleben? Wie literarisch-konstruiert, detailverliebt, zynisch und gesellschaftskritisch, einfühlsam und nachdenklich oder flott-unterhaltsam können Textpassagen sein? Nach der Gegenüberstellung der Romane, diskutiert das Publikum gar mehr die Stile als die Handlungen.
Bilkau führt mit dem Titel „Die Glücklichen“ leicht in die Irre, zeichnet sie doch das Porträt eines Paares, das zwar eigentlich glücklich sein könnte, das jedoch aufgrund gesundheitlicher und beruflicher Veränderungen immer stärker unter Druck gerät.
Aktiver, aber auch skrupelloser geht es in Flenders „Greenwash Inc.“ zu Sache. Sympathisch wirkt seine Hauptfigur, die mit dem Verkauf gewiefter Werbestrategien ihren großkotzigen Lifestyle finanziert, auf keiner Seite – zumindest auf keiner, die an diesem Abend gelesen wird. Faszinierend ist der Charakter aber allemal.
„Alles wird hell“ hat Jessen ihr Debüt getauft, in dem sie die Lebensgeschichte einer Frau erzählt; anhand Weichen stellender Episoden ihres ganzen Lebens – als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene und als Seniorin. Die gelernte Schauspielerin aus Hamburg überzeugt nicht nur mit ihrem Text, sondern auch mit ihrer Ausstrahlung – in deren Genuss das Erfurter Publikum bald wieder kommen darf. Denn am Ende des Abends, als Gläser abgestellt und Stifte gezückt werden, stimmen die meisten bei der Wahl des Debütantensalon-Gewinners für Julia Jessen.
Was bedeutet: Zur Erfurter Frühlingslese ist sie schon jetzt eingeladen.
Martin Moll ist Redakteur der Erfurter Lokalredaktion der TLZ
Debütantensalon in der Mehlhose
Fotos: Holger John