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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Mai 20 2020

Vorgestellt von Reinhard Troschka, Kartograph

Steffen Mau „Lütten Klein“

Steffen Mau „Lütten Klein“
Steffen Mau „Lütten Klein“

Noch ein Buch zum 30-jährigen Jubiläum, möchte man zunächst etwas überdrüssig sagen. Hört man doch allenthalben von der Enttäuschung, dass auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall die Aussicht auf ein Angleichen von Ost und West sich nicht, wie ursprünglich angenommen, verwirklicht hat. Diesen Zeitpunkt hat Steffen Mau mit seinem Buch „Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“ genutzt, um diese Differenz, nach einer „historisch langen Frist“, einmal gesellschaftswissenschaftlich zu untersuchen. Und um dies vorwegzunehmen: Es gelingt ihm mit Bravour. Für ein soziologisches Werk überraschend kurz, gleichzeitig sorgfältig und konkret.

Die Voraussetzungen dafür sind auch optimal, forscht doch Steffen Mau als Professor für Makrosoziologie an der Humboldt Universität zu Berlin unter anderem zu den Schwerpunkten „soziale Ungleichheiten“ und „Transnationalisierung“. Transformationsprozesse sind ihm also nicht fremd. Daneben, und dies ist die biographische Komponente des Buches, ist der Autor, Jahrgang 1968, in der Rostocker Plattenbausiedlung Lütten Klein aufgewachsen. Somit kann er die eigene Biographie anschaulich mit der eigenen soziologischen Forschung und deren statistischer Plausibilität verbinden. Seine ostdeutsche Herkunft begünstigt dabei das Einfühlungsvermögen gegenüber den Dagebliebenen. Als fortgegangener Wissenschaftler wahrt er hingegen stets den analytischen Zusammenhang.

Strukturiert ist das Buch in zwei große Abschnitte, getrennt durch den Umbruch von 1989. Dabei leitet Steffen Mau von der mikroskopischen Betrachtung des Neubaugebiets „Lütten Klein“ über in die Makroeinheit Gesellschaft, stets mit einem überschaubaren Maß an Daten und Grafiken, aber auch mit persönlichen Erlebnissen und unterhaltsamen Anekdoten.

In solch einer Lektüre mit akademischem Anspruch wird sicherlich auch der mit dem Thema vertraute Leser neue Erkenntnisse und Ansatzpunkte gewinnen. Exemplarisch sei für den ersten Abschnitt die „Mobilitätsblockade“ genannt. Mau spricht hier von einem „Aufstiegsversprechen“, das die DDR ab den 70er Jahren nicht mehr halten konnte, denn „die in höhere Positionen aufgestiegene Gründergeneration lag wie eine Bleiplatte über denen, die nachfolgen sollten.“ Eine ausgeprägte und eigenständige Zivilgesellschaft ist unter solchen Bedingungen nicht entwickelbar, geschweige denn gewollt, mit entsprechenden Auswirkungen bis in die heutige Zeit.

Natürlich kann man einwenden, für die Forschung eingeholte Meinungen und Umfragen hätten nie die Aussagekraft des Erfahrungswissens, insbesondere bei einem jungen Autor wie Steffen Mau. Das mag stimmen, liegt dann aber eher im Wesen der empirischen Soziologie begründet.

Lösungswege, oder gar eine „Reparaturempfehlung“, wie Mau sie nennt, könne die Wissenschaft nicht bieten. Dafür seien „Sozialstruktur und Entwicklung von Mentalitäten“ so komplex, dass sie „durch politische Interventionen nicht so simpel zu verändern sind".

Transformationsprozesse sind jedenfalls nichts für die Komfortzone, und aktuelle Entwicklungen in der ostdeutschen Gesellschaft, „die in den zurückliegenden dreißig Jahren einen regelrechten Transformationsgalopp durchgemacht hat“, damit, wenn nicht gar zu verzeihen, so zumindest nachzuvollziehen. Denn wird von ihr eine ständige Metamorphose abverlangt „trifft diese Botschaft auf Erschöpfung, auf eine Haltung des ‚Nicht schon wieder‘".

Vorgestellt von Reinhard Troschka, Kartograph

 

 

Steffen Mau „Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“
Suhrkamp Verlag, 284 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3518428948
22,00 Euro

 

Das Buch kann unter diesem Link bei unserem langjährigen
Partner Hugendubel erworben werden.

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