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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Okt. 13 2016

Der weltreisende Dennis Gastmannn blättert im Atrium der Stadtwerke in seinem „Atlas der unentdeckten Länder“

In zwei Stunden um die Welt

Vor seinem schönen Buch fand Dennis Gastmann viele schöne Worte für Erfurt - und das hiesige Publikum.
Vor seinem schönen Buch fand Dennis Gastmann viele schöne Worte für Erfurt - und das hiesige Publikum.

Von Sigurd Schwager

Ein Atlas zeichnet sich dadurch aus, dass er Landkarten und Buchform oder in loser Folge versammelt, manchmal auch Bildmaterial. Insofern ist der "Atlas der unentdeckten Länder" von Dennis Gastmann kein Atlas, sondern ein reines Wortwerk, bestehend aus Reisebeschreibungen. In diesen geht es auch nicht um unentdeckte, sondern um ziemlich unentdeckte Länder, fast vergessene, schwer erreichbare, von anderen Staaten nicht anerkannte. So jedenfalls hat es der Autor selbst in einem Interview formuliert.

Aber dieser Buchatlas braucht keine Karten und Fotos, um die Phantasie des Lesers zu erreichen. Der Journalist und Berufsreisende Dennis Gastmann ist, wie Elena Rauch treffend in der „Thüringer Allgemeinen“ schreibt, ausgestattet mit einem scharfen Blick für Merkwürdigkeiten jeglicher Art und einer ausgeprägten Freude, diese dem geneigten Leser bildhaft mitzuteilen.

Und genauso erlebt das geneigte, zahlreich erschienene Publikum im Atrium der Stadtwerke den dritten Erfurter Herbstlese-Auftritt von Dennis Gastmann. Mehr als zwei pausenlose und nie langweile Stunden unterhält der die Zuhörer mit seinen Geschichten von abenteuerlichen Orten.

Manches erfahren sie dabei, was nicht im Buche steht. Filmszenen und Fotos, soviel letztmalig zum Thema Atlas, gibt es natürlich auch: südseetrunkene, mit dem Sockelheiligen Lenin bestückte, berauschende aus der Welt des Wodkas und prunkend vergoldete aus tausendundeiner Nacht.

Elf Kapitel hat Gastmanns Abenteuerbuch, handelnd vom Ritt auf dem Wal bis zum geheimen Garten, von Pitcairn Island und Karakalpakstan, von Ra‘s al-Chaima und Transnistrien, von Palau und dem heiligen Berg Athos.

Gastmann, der Sehnsuchtssucher und Sehnsuchtserfahrer, liest in Erfurt zunächst aus seinen Südseeerlebnissen, berichtet von der langen Reise nach Pitcairn auf einem alten Frachter und dem wichtigsten Utensil für die Passagiere: einem Eimer für die Ergebnisse der Übelkeit.  Auf dem winzigen felsigen Eiland Pitcairn leben in der Abgeschiedenheit des Ozeans die Nachfahren der Bounty-Meuterer von 1789. Vierzig Inselbewohner sind es heute.

Die Meuterei auf dem britischen Dreimaster Bounty ist der bekannteste Aufstand in der Geschichte der Seefahrt. Viele Bücher erzählen davon und seit es bewegte Bilder gibt auch zahlreiche Kino- und Fernsehfilme. Die größten Hollywoodstars begegnen uns darin, voran Marlon Brando im Meuterei-Opus von 1962.

Bei Dennis Gastmann kommen weder Clark Gable noch Marlon Brando oder Mel Gibson vor. Dafür lernen wir durch ihn Meralda kennen, die Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin von William MacCoy, einem Trunkenbold, der gemeinsam mit dem Radaubruder Matthew Quintal als einer der Letzten auf der Bounty eingecheckt hat. Wir treffen mit ihm auch Mavi, Meraldas Mutter, ein kleines buckeliges Wesen mit schlohweißen Haaren. Sie haust in einem Wellblechverschlag neben dem „Holzpalast“ ihrer Tochter.

Auf Pitcairn folgen Gastmanns Erzählungen von seinen „Ferien im Phantomstaat“ Transnistrien, wo die Zeit eingefroren scheint. Danach geht es weiter nach Karakalpakstan, bestehend aus Salz und Sand und der Erinnerung an den verschwundenen Aralsee. Die Lesung endet schließlich im Emirat Ra‘s al-Chaima, wo der Reporter nicht suchen muss, weil ihn die märchenhaften Geschichten finden. „Sucht dich der Dschinn, so salze dein Bett“ titelt dieses Kapitel.

Zum Schluss gibt es viel Beifall und wie immer Brückentrüffel für den Gast. Der Autor wirkt sehr zufrieden und das Erfurter Publikum sowieso.

Niemand fragt ihn nach seinem speziellen Sehnsuchtsort. Denn diese Frage hat Dennis Gastmann schon zu Beginn des interessanten Abends ungefragt beantwortet: Dass nämlich das schöne Erfurt sein wahrer Sehnsuchtsort sei.

Zu vermuten ist nach dieser netten Schleimerei: Sollte Dennis Gastmann jemals einen „Atlas der unentdeckten Städte“ schreiben, werden wir Leser darin unverzüglich nach einem Erfurt-Kapitel suchen – und fündig werden.

Dennis Gastmann im Atrium der Stadtwerke

Fotos: Holger John

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