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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 27 2015

Mit seinem fünften Buch darf Stephan Ludwig bei der Herbstlese ran

22 und ein halber Zentimeter Zorn – Schröder inklusive

Fünf Zorn-Bände in knapp vier Jahren hat Stephan Ludwig bereits verfasst.
Fünf Zorn-Bände in knapp vier Jahren hat Stephan Ludwig bereits verfasst.

Er hat das, sagt Stephan Ludwig, genau abgemessen und ausgerechnet. Seine fünf Zorn-Bände nebeneinander ergeben exakt 22,5 Zentimeter Gesamtbreite. Kann er das bisherige Tempo beim Schreiben halten, ist in 256 Jahren ein Ikea-Regal voll. „Das geht ja schneller, als so ein Regal aufzubauen“, feixt er und gibt damit gleich den Grundton für den Abend vor. Es geht zwar um Mord und um Totschlag, aber todernst ist nicht seine Sache. So beginnt die Lesung „mit etwas verrücktem“ – mit dem Anfang von „Kalter Rauch“. Just zu Erscheinungstag seines fünften Bandes absolviert er bei Hugendubel am Anger seine Herbstlese-Premiere.

Sein Publikum macht es ihm leicht. Mit den ersten vier Romanen hat er eine treue Fangemeinde erreicht, die durch die Verfilmung und anschließende Ausstrahlung zur besten ARD-Sendezeit nicht kleiner geworden ist. Keine vier Jahre hat er dafür gebraucht. Das ist mehr als sportlich. Er nimmt es auch so.

Zurück zu „Kalter Rauch“. Warum nicht „Silberner Regen“? Beginnt der Roman doch mit einem Fischregen. Zu hunderten pladdern sie auf Kirchendächer, Häuser, Wiesen und mitten in Kleingärten. Warum? Wird nicht verraten. Irgendwie muss die Geschichte ja beginnen. Eine Erklärung hat Stephan Ludwig doch parat: „Zorn hasst Fisch.“

Bei der Begrüßung hatte Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig gewarnt, es wird dauern mit der ersten Leiche. Dann kommt er erlösende Satz: „Es ist halt so, die stirbt natürlich“. Eine gute halbe Stunde hat es gebraucht. Im Buch hat es die Handlung inzwischen bis auf Seite 167 geschafft. Oder vielleicht doch auf Seite 190? Man weiß es nicht genau.

Der es wissen könnte, der Autor, hüllt sich in Schweigen. Das muss auch so sein. Bei Lesungen aus Kriminalromanen lauert hinter jedem Satz, der das Geschehen beschreibt, ein Spoiler. Doch wer den Mörder kennt, braucht das Buch nicht mehr kaufen. Ein Dilemma.

Stephan Ludwig weiß darum. Daher liest er nur einige Passagen, unterbrochen von launigen Kommentaren zum Tun seiner Protagonisten. Oder von Bemerkungen, die sein eigenes Schaffen beschreiben. Wobei auch hier vieles im Dunklen bleibt. Wie von seinen Kommissaren gibt der Schriftsteller nur das Nötigste preis. Selbst das scheinbar widerwillig.

So ist es nicht zu leugnen, dass seine Krimis, die sich jetzt Thriller nennen, in Halle spielen. Obwohl der Name der Stadt der Halloren in keinem Buch auftaucht. Aber er sei nun einmal ein fauler Mensch, erklärt Stephan Ludwig. Etwas völlig neues auszudenken ist ihm zu viel Arbeit; da hält er sich lieber an das, was er tagtäglich sieht: Die Häuser und Plätze und Straßen seiner Heimatstadt.

Bei den handelnden Personen ist er großzügiger.

Die haben, im engeren Sinne, keine Heimat. Zorn und Schröder sind als Typen desperat, die zwei könnten überall zu Hause sein, wo es hinreichend urban und zwingend unglamourös zugeht. In Städten wie Gera oder Neubrandenburg, die irgendwie ihre Bedeutung für das weitere Umland verloren haben. Wie Halle, das mitansehen muss, wie die Landeshauptstadt Magdeburg den Ton im Bindestrich-Land nördlich von Thüringen vorgibt. Später liest Stephan Ludwig den Satz vor: „Was sucht der in diesem Kaff?“ – und kommentiert trocken: „Muss doch Halle sein“.

Der frühere Punk-Musiker und Radio-Produzent setzt aber nicht nur auf den Sound seiner Geschichten, er hat auch etwas zu erzählen. Meist gibt es nicht nur eine Handlung, kunstvoll erfindet er Seitenstränge und verknüpft und verwebt sie mit dem fiktiven Leben seiner beiden Helden.

Seit fünf Bänden geht das jetzt schon, und ein Ende ist nicht in Sicht. Band sechs, so berichtet es seine lokale Zeitung, die seit dem Abgang von Schmücke und Schneider in die Polizeiruf-Rente dankbar das entstandene Vakuum mit Zorn und Schröder füllt, Band sechs also sei längst in Arbeit.

Das wird seine Fans freuen, deren Anhängerschaft, stetig im Wachsen ist. Nicht nur, weil das schräge Duo – wie oben berichtet – den Sprung ins Fernsehen geschafft hat, sondern weil es Stephan Ludwig bestens versteht, seine Leser bei der Stange zu halten. Das Ende eines seiner Bücher wirft in der Regel mehr neue Fragen auf, als bei der finalen Lektüre beantwortet werden. Über allem steht die drängende Frage, was wird aus den zwei Kommissaren im nächsten Band?

Die haben inzwischen schon einige Volten gedreht, sich nach Band drei sogar getrennt. Im Band vier, ganz am Ende, kommen sie wieder zusammen, nur dass jetzt plötzlich Schröder Zorns Chef wird. Zorn sieht inzwischen Vaterfreuden entgegen, derweil Schröder um seine Familie trauert. Da ist, zwischenmenschlich, ganz schön was los.

Wie gesagt, knapp vier Jahre liegen zwischen dem Erscheinen des ersten und des fünften Bandes. Erst jetzt hat die Herbstlese Stephan Ludwig nach Erfurt eingeladen. Es bedarf keiner prophetischen Gabe um vorherzusagen, dass es bis zur nächsten Visite nicht wieder so lange dauern wird. Schließlich ist ja inzwischen auch die A 71 in Richtung Norden fertig.

Stephan Ludwig bei Hugendubel

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