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Okt. 14 2014

Torsten Wohlleben im Jugendzentrum Prediger Erfurt

Alltagsbewältigung zwischen Kraftklub und Club-Mate

Torsten Wohlleben wurde 1974 in Brake an der Weser geboren mit Wurzeln in Südthüringen.  In der Hand hält er seinen ersten Jugend Roman.
Torsten Wohlleben wurde 1974 in Brake an der Weser geboren mit Wurzeln in Südthüringen. In der Hand hält er seinen ersten Jugend Roman.

Von Anne Martin

 

Klein mit Segelohren und Brille, ein Anhängsel der attraktiven und angesagten Freunde, die Auserwählte unerreichbar: „Willkommen in der Loserfraktion.“ So heißt es im Klappentext des Jugendbuches „Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe?“ von Torsten Wohlleben. Im Erfurter Jugendzentrum Predigerkeller stellte der norddeutsche Autor mit Wurzeln in Südthüringen seinen Debütroman um den 16-jährigen Protagonisten Henner vor.

Rund 40 Besucher verschiedener Altersklassen litten mit, kicherten und nickten verständnisvoll als Torsten Wohlleben beschrieb, wie Hauptcharakter Henner mühevoll versucht, sich einen Platz in seiner Welt zu erkämpfen. Seine Welt – das ist der Schulalltag und das Leben mit seinen Eltern, deren Verhalten er durchaus kritisch beäugt. Zu seiner Welt gehören aber auch Jakob und Luis. In Gesellschaft der beiden groß gewachsenen jungen Männer, an denen wie durch Zauberhand und im Gegensatz zu ihm sämtliche Makel der Evolution und Pubertät vorbeigegangen sind, fühlt sich Henner wie das dicke Mädchen, das in einer Gruppe von Freundinnen einzig dafür da ist, die anderen weniger dick wirken zu lassen. Er ist einer dieser Typen, der nicht einmal mehr belächelt wird, sondern bei dem sich alle erst zwei Stunden nach seinem Verschwinden fragen, wo er ist.

Die scheinbar unlösbaren Probleme der Pubertät zwischen kindischem Gehabe und pseudo-erwachsener Attitüde wiederholen sich in jeder Generation. Die älteren Zuhörer hatten dementsprechend genauso viel Vergnügen an Torsten Wohllebens Lesung wie das jugendliche Publikum an diesem Abend. Nur, dass beide Fraktionen bisweilen an unterschiedlichen Stellen zu lachen hatten. War es Henners eigener Vergleich mit Jean-Baptiste Grenouille aus Patrick Süskinds „Das Parfum“, als er sich am Geruch seines heimlichen Schwarms Valerie ergötzte, der die Oma amüsierte, kriegte sich der Enkel nicht mehr ein bei der Beschreibung, wie der Außenseiter bei einer Überfahrt nach Helgoland schwerlich Mühe hatte, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten und zeitgleich den Schein jugendlichen Gebarens zu wahren.

Feinfühlig lässt der Autor Henner immer und immer wieder über sein eigenes Verhalten und das der anderen reflektieren. Dem Freak mit großer Beobachtungsgabe für sein Umfeld ist das Hemdenbügeln-Eisessen-Syndrom seiner Mutter genauso suspekt wie das umständliche Begrüßungsritual seiner Freunde oder ihre ständige Präsenz in sozialen Netzwerken. Kritisch und mit den halb naiven Augen eines Heranwachsenden beurteilt er sozialpolitische Themen wie die Entscheidung von Louis´ Eltern für dessen jüdischen Zweitnamen Isaak „als Wiedergutmachung oder so.“

Henner ist ein junger Sonderling der heutigen Zeit, der im Begriff ist, sich zu finden und mit einer Mischung aus Witz und kritischem Hinterfragen die kleine Welt zwischen Kraftklub und Club-Mate denen zu erklären, die ihr entwachsen sind oder – wie er – nicht wirklich Zugang zu ihr finden. So sonderbar ist Torsten Wohllebens Romanprotagonist dann aber doch nicht. Jeder Pubertierende, ob heute oder gestern, hatte in dieser entscheidenden Lebensphase sicherlich Momente, in denen er sich aus Scham oder Unverstandenheit von diesem Planeten gewünscht hätte. Zeitlos ist Wohllebens Debütwerk „Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe?“ zwischen den Zeilen also allemal. Nur hätte wahrscheinlich noch vor ein paar Jahren anstelle des Buchtitels folgende ausgeleierte, aber treffende Antwort gestanden: „Das Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi.“

 

 

Torsten Wohlleben im Predigerkeller Erfurt

Fotos: Holger John

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