Juliane und Ulf Annel nehmen ihr Publikum mit zu 111 Orten in und um Erfurt, die man gesehen haben muss
Augen auf und durch!
Von Sigurd Schwager
Manchmal passt es ganz gut mit den Zufällen. Auf eine Premiere vor der Premiere, auf Jutta Voigts Herbstlese-Auftritt, folgt sogleich das Gegenstück, eine Premiere nach der Premiere. Der Grund für diese ungewöhnliche Variante bei Annel & Annel: Das Interesse an den Autoren und ihrem neuen Buch ist so groß, dass nur eine zusätzliche Veranstaltung Abhilfe schaffen kann. Zeit und Raum dafür findet sich 48 Stunden vor der eigentlichen Premiere.
Bei dem neuen Buch, dass die Erfurter in Heerscharen anlockt, handelt es sich um die Fortsetzung von „111 Orte in Erfurt, die man gesehen haben muss“, allerdings um zwei Wörtlein erweitert: „111 Orte in und um Erfurt, die man gesehen haben muss“.
Die Autoren von Band 1 und Band 2 sind identisch, nämlich Ulf und Juliane Annel. Vater und Tochter sind in der 111er-Buchreihe erfolgreich zu Hause. Er mit Texten, sie mit den zugehörigen Fotos. Auch „111 Orte in und um Weimar, die man gesehen haben muss“ ist ihr Gemeinschaftswerk, und bei „111 Museen in Thüringen, die man gesehen haben muss“ kommt noch Mutter Ingrid als Autorin dazu.
Nun also als neueste Liebeserklärung 111 Orte in Erfurt und um Erfurt herum. Der große Saal im Erfurter Haus am Breitstrom ist brechend voll und schon der Begrüßungsbeifall beträchtlich. Ulf und Juliane Annel sitzen nicht auf der Bühne, sondern nur leicht erhöht in Armlänge vor dem erwartungsfrohen Publikum.
Mit Erfurt kennen sich beide natürlich bestens aus. Beide sind hier geboren und aufgewachsen. Ulf Annel ist hier lange schon bekannt wie ein bunter Hund. Er gehört mit 35 Dienstjahren zum archaischen Inventar des Kabaretts „Die Arche“. Juliane Annel arbeitet als Kunstlehrerin in Erfurt.
„Wir begrüßen Sie herzlich“, spricht Vater Ulf, „im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.“ Der Satz, weil von den meisten Zuhörern verstanden, wird mit Applaus quittiert, aber reiner Spaß ist er nicht. Denn als in der späten DDR die sowjetische Zeitschrift „Sputnik“ verboten wurde und der junge Genosse Annel fragte, ob er denn nun auch aus der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft austreten solle, war das mit einer der Gründe für seinen Rausschmiss aus der SED.
Im einstigen Haus der DSF befindet sich heute die Aula des Evangelischen Ratsgymnasiums, übrigens Ort Nr. 32 im Buch. Ort Nr. 50 ist die Kunst- und Designschule Imago, in der Juliane Anne mehr als 10 Jahre Mitglied war. Auch von anderen Orten führen immer wieder Spuren der Erinnerung hin zu den Autoren und zurück. Das gibt dem Buch eine ganz spezielle persönliche Note.
An diesem Abend wird man wechselweise Zuhörer und Zuseher. Ampelmännchen, Bellings Grab, Collegium Maius, Erfurter Schittchen . . . Die Texte, die Ulf Annel liest, sind pointiert geschrieben, jedoch nicht im Stil eines satirischen Erfurt-Reiseführers. Zwischen den Lese-Passagen werden auf der Bühne großformatig Juliane Annels Bilder gezeigt, von deren Entstehungsgeschichte die Fotografin jeweile knapp und mit angenehm sanftem Humor berichtet.
Die Erklärungen der Autoren bestätigen den Eindruck, den man beim Blättern in dem Buch gewinnt. Es soll ein Reiseführer der etwas anderen Art sein. Einer, der dazu verführt, neben den üblichen Wegen auch solche zu gehen, die man als Erfurter vielleicht noch nie gegangen ist und die man als Tourist vermutlich nie und nimmer so gegangen wäre.
Weil aber Leben Veränderung bedeutet, wird bei eigener Erkundung nicht ausbleiben, dass man nicht alles 111 Mal genauso vorfindet, wie es im Buche steht. Der empfohlene Garten könnte geschlossen, das schöne Projekt nicht mehr gefördert sein. Doch die Entdeckerfreude dürfte das nicht mindern.
Halten wir es also mit Ulf Annel: „Augen auf und durch!“
Juliane und Ulf Annel in der Aula des Ratsgymnasiums
Fotos: Holger John