Der traditionelle Herbstlese-Auftakt erlebte ein munteres Literarisches Quartett
Da waren es wieder vier
Mit ihrem traditionellen Literarischen Quartett starte die Erfurter Herbstlese am Samstag in ihre 23. Saison. Der vierte Stuhl auf dem Podium, der nach dem Tod des Politikwissenschaftlers Dietmar Herz im vergangenen Jahr noch unbesetzt war, blieb am Samstagabend im Kultur: Haus Dacheröden nicht wieder leer. Auf ihm nahm Ute Lemm, die Orchesterdirektorin und Künstlerische Betriebsdirektorin am Theater Erfurt, Platz. Eine gute Wahl, wie die kommenden gut 90 Minuten bewiesen.
Ihr Engagement soll nicht auf 2019 begrenzt bleiben. „Uns war klar, dass wir dauerhaft eine Frau in unserer Runde brauchen“, sagte Herbstlese-Vereinschef Dirk Löhr schon vorab. Mit Ute Lemm, einer begeisterten Leserin, sicheren Analystin und überzeugenden Kritikerin, konnten sich die Besucher des Quartetts über eine kluge neue Stimme freuen. Die Musik- und Literaturwissenschaftlerin will auch nach ihrem angekündigten Wechsel als Generalintendantin ans schleswig-holsteinische Landestheater der Runde künftig erhalten bleiben.
Neben Lemm und Löhr hatte der langjährige Gastgeber, „Krimi-Pfarrer“ Felix Leibrock vom Evangelischen Bildungswerk München, auch wieder MDR Thüringen-Chefredakteur Matthias Gehler in der belesenen Runde gebeten. Nach einem kurzen Austausch über das diesjährige Motto „Träume sind Schäume?“ stellte jeder der Vier dann ein Buch aus dem aktuellen Herbstlese-Programm vor – den neuen Roman von F.C. Delius (Lemm), die Gropius-Biografie von Bernd Polster (Leibrock), die Langzeitreportage „Unter Druck“ von Jana Simons sowie Eugen Ruges Auskoppelung seiner Familiensaga „Metropol“.
Besonders an Gropius und Polster schieden sich die Geister während des Quartetts. „Wie kreativ war Walter Gropius wirklich?“, fragt Hanno Müller in der der „Thüringer Allgemeine“. Folge man Polsters Biografie, entpuppe sich der Bauhaus-Gründer als dreister Hochstapler, der seinen Ruf als Designer und Architekt vor allem den Ideen anderer verdankt habe. Beim traditionellen Literarischen Quartett zum Auftakt der Erfurter Herbstlese – Motto: „Träume sind Schäume?“ – sorgte die Entzauberung des Bauhaus-Stars im 100. Jubiläumsjahr der Designschule aus Müller Sicht für einen leidenschaftlichen Schlagabtausch. „Einerseits gut erzählt, andererseits respektlos und auf Beschädigung bedacht, nannte Matthias Gehler das Porträt. Gropius habe sich aber als Netzwerker und Wegbereiter verdient gemacht, so der Mann vom MDR. Andere in der Runde hätten auf die Rolle der Frauen am Bauhaus vverwiesen, die unter Gropius auf Rollenklischees wie Keramikwerkstatt oder Weberei festgelegt gewesen seien, notierte der Reporter.
Die Mischung aus Realität, Fiktion und Vision in vielen Büchern des diesjährigen Leseherbstes lasse auf viel Spannung und Diskussionen hoffen, fügte er hinzu. Mit Blick auf mehr als 70 Veranstaltungen während der diesjährigen Herbstlese ist die Chance groß, dass er Recht behält.
Ein Literarisches Quartett 2019
Fotos: Holger John