Erinnerungen an Michael und Holger John mit Sven Regener und viel Musik
Das Gedenken als eine Feier des Lebens

Von Sigurd Schwager
Die Lese in den Zeiten der Pandemie sorgt trotz digitaler Bemühungen leider nur für spärliches Veranstaltung-Vergnügen. Doch nun, Mitte Juni, zeigt sich die Erfurter Herbstlese endlich wieder nahbar, lädt das erwartungsfrohe Publikum zum Besuch ihrer Sommerbühne ein. Selbige findet man wie schon im Vorjahr auf dem Hof des Dacherödschen Hauses. Der heurige Auftakt gilt dem Erinnern an Michael John, Mitgründer und prägende Gestalt dieses Literaturfestivals, das längst weit über Thüringen hinaus hohes Ansehen genießt.
Unermüdlich sein Einsatz bis zu jenem schwarzen Samstag: Am 14. Mai 2011 bereitet Michael John im Saal des alten Erfurter Gewerkschaftshauses einen Auftritt des von ihm sehr geschätzten Sven Regener vor. Alles wie immer. Nichts deutet darauf hin, was gleich geschehen wird - die Katastrophe. Plötzlich bricht der junge Herbstlese-Chef zusammen. Ohne jede Vorwarnung kommt der Tod. Mit 45 Jahren. „Das Leben ist nicht fair“, wird im Nachruf sein enger Freund und Herbstlese-Mitgründer Dirk Löhr schreiben.
10 Jahre später versammelt der Abend „Für Dich, Micha“ die Familie, Weggefährten, all die treuen Freundinnen und Freunde der Herbstlese. Das „Für Dich, Micha“ korrespondiert hier mit dem Wort von Novalis, das auf dem Vieselbacher Grabstein zu lesen ist: „Alle Erinnerung ist Gegenwart.“
Vor der Bühne sind nebeneinander zwei große gerahmte Schwarzweiß-Fotografien aufgestellt. Eindrucksvolle Charakterstudien. Die ein zeigt Michael John, die andere den erst vor wenigen Tagen verstorbenen Freund und Herbstlese-Fotografen Holger John. Dabei eint die Porträts neben der spürbaren Kraft eine heitere Gelassenheit, die aus den markanten Gesichtern spricht. „Beide“, sagt Vereinschef Dirk Löhr in einer kurzen Rede, „waren wirklich feine Kerle.“
Was er dann als Hoffnung für die Stimmung der kommenden Stunden formuliert, wird sich am Ende auf das Schönste erfüllt haben: Das ehrende Gedenken als eine Feier des Lebens.
Dazu wiederum leistet Sven Regener einen wunderbaren Beitrag. Nicht als Sänger, sondern als kongenialer Vortragender des eigenen Dichterwortes.
Er liest das erste Kapitel aus seinem Millionenseller „Herr Lehmann“. Es heißt „Der Hund“ und entstand bereits zehn Jahre vor dem Erscheinen des Romans. Erstmals geriet das launige Prosastück übrigens 1997 in die Öffentlichkeit - im Premierenjahr der Erfurter Herbstlese. Das passt.
Wenn Multitalent Regener liest, langjährige Herbstlese-Besucher wissen das, ist Dauerheiterkeit programmiert. Schmunzeln, Kichern und Gelächter lauthals - Regeners alter frischer Lehmann, Kapitel 20 mit Hund inklusive, sorgt für intensiv gute Stimmung.
Für diese geben natürlich auch die vier eingeladenen Musiker ihr Bestes. Drei Gitarren und ein Saxophon. Frithjof Rödel und Seth Flemming auf der Bühne sowie Robert Fränzel und Carsten Degenhardt in der Tiefe des Hofs. Amerika so nah. Auch sie verdienen sich den Beifall und die Begeisterungspfiffe. Und die Schokolade sowieso.
Mit dem süßen Finale fühlt man sich endgültig wieder angekommen im guten Herbstlese- Alltag, für den jetzt die Sommerbühne sorgt.
„Für Dich, Micha“
Fotos: Uwe-Jens Igel