Marion Brasch bei Hugendubel am Anger
Das Handy als Lebensberater
Von Martin Moll
Geplagt vom Liebesleid, verletzt in trunkenen Nächten, gestoßen, aufgerissen, vernarbt – Marion Brasch zeigt bisweilen wenig Mitleid mit der Hauptfigur ihres neuen Romans. Als Autorin könne man eben ganz schön sadistisch sein, gesteht die Berlinerin vor ihrem Herbstlese-Publikum bei Hugendubel. Doch während sie Seite für Seite aus „Wunderlich fährt nach Norden“ liest, herrscht mitnichten gedrückte Stimmung im Buchladen.
Im Gegenteil. Denn Marion Brasch zeigt den Charakter Wunderlich nicht nur als gebeutelten, geknickten Mann, sondern auch als einen, der auf betrübt-stoische Weise sein Schicksal erträgt – und es dank seines Handys wieder selbst zu lenken beginnt.
Denn dieses Handy – oder der anonyme Absender – schaltet sich in sein Leben ein, als sich seine Liebste ausgeklinkt hat. „Guck‘ nach vorn“, liest Wunderlich – und tut genau dies. Ohne Pathos, aber mit einer Menge Gleichmut schaut er zuerst geradeaus, und beginnt dann eine Reise in den Norden. Nicht gleich in die Arktis, aber zumindest soweit Richtung Küste, bis er aufgrund eines abgelaufenen Ausweises aus dem Zug fliegt.
Zuviel möchte Marion Brasch dann aber doch nicht verraten von der Geschichte, in der Traum und Wirklichkeit ineinander überblenden zu scheinen. Schließlich liegt auf dem Tisch neben ihr ein Stapel Bücher zum Verkauf. Nicht wenige Gäste greifen zu und kommen beim Signieren kurz mit der Autorin ins Gespräch. Einige von ihnen hätten nach der Lesung gern mehr über sie erfahren, ein moderiertes Gespräch etwa hätte den knapp einstündigen Leseabend sicher bereichert.
Nicht erst seit ihrem autobiografischen Familienroman „Ab jetzt ist Ruhe“ sind Literatur- und Kunstfreunde an ihrer Vita interessiert, an ihrem Vater Horst, dem stellvertretenden DDR-Kulturminister, an ihren Brüdern, an ihrer Karriere als Moderatorin bei „DT64“ und „Radio eins“. Vielleicht möchte sie aber auch nicht ablenken; steht doch derzeit schließlich Wunderlich im Mittelpunkt – und sein Umgang mit der schmerzhaften Vergangenheit.
Wenn doch nur jeder wüsste, wo es das Blauharz gibt, das in Braschs Buch nicht nur Wunden heilt, sondern auch die Erinnerung an den Verursacher.
Martin Moll ist Redakteur in der Lokalredaktion Erfurt der TLZ.
Das Handy als Lebensberater
Fotos: Holger John | VIADATA