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Erfurter Herbstlese
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Nov. 03 2015

Rafik Schami im Kaisersaal

Das hohe Lied der Liebe

Nur noch wenige Minuten, und Rafik Schami wird im Kaisersaal nicht einen  freien Platz mehr erkennen können.
Nur noch wenige Minuten, und Rafik Schami wird im Kaisersaal nicht einen freien Platz mehr erkennen können.

Von Sigurd Schwager

Alle Autoren sind auf dem großen Herbstlese-Basar ganz herzlich willkommen, aber zu diesem Manne hat das Publikum über die Jahre eine besonders innige Beziehung entwickelt. Was auf Gegenseitigkeit beruht. Fast möchte man von einem Herbstlese-Ehrengast sprechen.

Rafik Schami also ist wieder nach Erfurt gekommen, und hat den geschichtsreichen Kaisersaal bis hoch in die Ränge mit erwartungsfrohen Menschen gefüllt. Während sie auf den Beginn der Veranstaltung warten, signiert der Dichter, der von sich sagt, er schreibe deutschsprachige Literatur syrischer Herkunft, bereits geduldig  sein neues Buch.

Dieses ist ein Roman, knapp 500 Seiten lang, und heißt „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“. Ein einzelnes Exemplar davon steht in der Mitte des Bühnenrandes, und dort wird es auch die nächsten anderthalb Stunden bleiben. Rafik Schami schreitet immer wieder daran vorbei, hebt es jedoch nicht auf. Er liest nicht daraus vor, kein einziges Wort; und wer ihn kennt, der hat auch nichts anderes erwartet.

Denn Rafik Schami beherrscht nicht nur schreibend meisterhaft die Kunst des Erzählens. Ebenso wunderbar kann er von dem erzählen, was er zu Papier gebracht hat. Und vieles andere mehr. Wie im Buch lädt er auch auf der Bühne sein Publikum ein, mit ihm gemeinsam in seine Geschichten einzutauchen, Menschen in ihren Freuden und Dramen kennenzulernen.

Wer das Buch bereits gelesen hat, erinnert sich dabei vielleicht an die Widmung: „ . . . für alle, die eine Fata Morgana für ihr verlorenes Paradies halten“. Oder an das einleitende arabische Sprichwort: „Geduld und Humor sind zwei Kamele, mit denen man jede Wüste überqueren kann."
Schami, der in Damaskus geboren wurde und seit mehr als vier Jahrzehnten in Deutschland lebt, hat, natürlich, seinen neuen Roman wieder zu weiten Teil in Damaskus angesiedelt. Wir erfahren darin von einem Syrer, der nach 40 Jahren Exil kurz vor Beginn des Arabischen Frühlings in seine Heimat zurückkehrt und dort in ein mörderisches Komplott gerät.

Ein Polit-Thriller? Ja, das auch, vor allem aber ist es ein enorm detailreiches Geschichten-Panorama. Viele Erzählstränge gilt es kunstvoll zu entwirren. Rückblenden erhellen das dramatische Geschehen. In Sonderheit, das wird schon bald klar, haben wir es mit einem Roman zu tun, der die Kraft und die Macht der Liebe besingt. Der Thriller, die Verfolgungsgeschichte, sagt Rafik Schami in Erfurt, sei von zwei Liebesgeschichten umgeben.

Laut denkt der Dichter mit seinem Publikum darüber nach, warum es keinen guten arabischen Krimi gibt. Weil es in diesen Machtstrukturen kein Kommissar wagen würde, bestimmte Kreise zu verhören. Ausführlich  auch sein Exkurs zur Sippe. Mit ihrer Hilfe vermochte man, in der lebensfeindlichen Wüste gemeinsam zu überleben. Das Problem: Der Einzelne, erklärt der Dichter, habe keinen Wert. Die Sippe unterdrücke alle, dafür garantiere sie andererseits ihr Überleben.
Ernste Worte an einem Abend, an dem ansonsten der Humor wahrlich nicht zu kurz kommt.

Natürlich können und wollen weder Rafik Schami noch sein Publikum die aktuelle Tragödie ausblenden. Sie ist in jeder Sekunde präsent. Wenn Schami von Homs spricht, der geliebten Stadt seiner Kindheit und Jugend. Oder von Damaskus, das eine Idylle in seinem Kopf sei. „Niemand verlässt sein Haus freiwillig!“ Dichter-Sätze wie dieser bedürfen keiner weiteren Erklärung. Sie werden mit starkem Applaus beglaubigt.

Rafik Schami beendet seinen berührenden Erfurter Abend mit dem Beginn des Romans: Karim übt darin geduldig sein Lautenspiel, das gleichwohl zum Weinen schlecht klingt. Und wofür das alles? Der beste Lohn aller Zeiten, sagt Rafik Schami, sei das Lächeln eines geliebten Menschen.

Ein schönes Schlusswort.

Nur der Signierwunsch vermag es, irgendwann den Beifall im Kaisersaal zu beenden.

 

Rafik Schami im Kaisersaal

Fotos: Holger John und Uwe-Jens Igel

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