Benedict Wells erzählt bei Hugendubel vom Schreiben - und liest aus seinem jüngsten Roman
„Die Empfindsamkeit bewahren“
Von Birgit Kummer
Talkshows entzieht er sich – das Gespräch mit seinen Lesern aber sucht er: Benedict Wells, 32 Jahre alt, gefeierter Schriftsteller, kam als Gast der Herbstlese am Freitagabend nach Erfurt. In der Buchhandlung Hugendubel stellte er seinen Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ vor.
Wells erzählt darin von drei Geschwistern und begleitet sie durch 35 Jahre ihres Lebens. Die Geschichte um Jules, Liz und Marty und die geheimnisvolle Alva hat von den ersten Seiten an Sogwirkung. Denn Wells gelingt es, Lebenslinien zu entfalten, Spannung aufzubauen, Situationen plastisch und präzise zu beschreiben und den Leser sowohl emotional als auch philosophisch zu fesseln. Was kann einem im Leben widerfahren? Wo besteht Gefahr, falsch abzubiegen? Was ist Zufall, was Schicksal, was hat man selbst in der Hand und was passiert ohne eigenes Zutun? Und gibt es im Menschen einen unzerstörbaren Kern? Fragen, die seine Geschichte anspricht.
Wer als Literaturfreund besondere Sätze sammelt – in diesem Buch wird er auf fast jeder Seite fündig. „Manchmal erkennt man Menschen besser aus der Ferne“ ist so ein Satz. „Es sind die Brüche, in denen man sich erkennt“ ein anderer. „Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit“. Die finden die Geschwister im Buch, indem sie die Fäden zwischen sich nie ganz kappen und indem sie zueinander stehen, allen Schicksalsschlägen zum Trotz. Und Wells findet sie ganz offenbar bei seinem Publikum.
Denis Scheck staunt über den begabten Erzähler, Elke Heidenreich schwärmt – und Benedict Wells wundert sich noch immer darüber, wie schnell dieses Buch den Weg in Seelen und Herzen der Leser fand. „Ich werde das wohl erst in zwei Jahren wirklich realisiert haben“, meint er.
Den zahlreichen Zuhörern erzählte er von seinem steinereichen Weg zum Autor, von den vielen Ablehnungen seiner Manuskripte und von dem, was er immer noch als Wunder sieht: Dass schließlich der von ihm hochgeschätzte Diogenes-Verlag seinen Erstling veröffentlichte und seither treu an seiner Seite ist. Er erzählte von seinen acht Testlesern im Verlags- und Freundeskreis, die jede Geschichte vor der Veröffentlichung auseinandernehmen und auf deren Urteil er sich verlasse. Und er sprach auch über den Prozess des Schreibens. Die Qual des Beginnens im Angesicht weißer Blätter. Seine Gewohnheit, zuerst den Fahrplan zu schreiben – mit Hauptlinien und Hauptfiguren bis hin zum Ende. Alles andere folge, wenn er sich mit seinen Figuren auf den Weg mache. Das berge auch die Gefahr, sich zu verlaufen. „Vom Ende der Einsamkeit“ habe anfangs 800 Seiten gehabt und sei dann in einem schmerzhaften, aber nötigen Prozess von ihm zusammengestrichen worden.
Wells schreibt nach eigenem Bekunden weniger mit dem Kopf als aus dem Gefühl heraus. Manchmal bis zu 16 Stunden am Tag. Und immer die Frage beachtend: „Wie kommst du von A nach B? Und reicht der Sprit für diesen Weg?“ Den Spaß am Schreiben müsse er sich erkämpfen, findet er. Und die Wirkung eines Buches entfalte sich erst am Schluss. „Das Ende ist für mich das ultimativ Wichtigste eines Buches.“
Auch Privates kam am Freitag zur Sprache: Die Kindheit in Bayern, seine 13 Jahre Internatsleben, die der Liebe zu seinen Eltern keinen Schaden zugefügt hätten. Die Zeit in Berlin inklusive einiger Semester Mathematik-Studium. Die Jahre in einer WG in Barcelona.
Eine Hommage an einige seiner Lieblingsautoren wie John Irving, Ian McEwan oder Harry Mulisch gab es ebenfalls.
Was ist ihm wichtig? „ Kein Arsch zu sein. Die Empfindsamkeit zu bewahren. Der bleiben, der ich bin und der werden, der ich bin.“
Wells gibt nicht den Shooting-Star und nicht den Überflieger. Angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre seien seine „Träume übererfüllt“, meinte er lächelnd. Er wolle all diese Erinnerungen sammeln und bewahren, auch die an die Lesung in Erfurt. Die Figuren seines nächsten Romans habe er quasi schon unsichtbar dabei, verriet er dem Publikum.
Lang war die Schlange der Literaturfreunde, die sich ein Buch signieren ließen am Ende eines nachdenklichen, entspannten, heiteren Abends, der ganz nach dem Geschmack der Herbstlese war.