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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Dez. 04 2015

Plauderei mit Denis Scheck über die Bücher der Saison, seinen Hund Stubbs und andere dunkle Geheimnisse

„Die Selbstverblödung kennt eben keine Grenzen“

Denis Scheck zum  Abschluss der Erfurter Herbstlese 2014 im Atrium der Stadtwerke
Denis Scheck zum Abschluss der Erfurter Herbstlese 2014 im Atrium der Stadtwerke

Denis Scheck (50) gilt als einer der profiliertesten Kritiker Deutschlands. Dem breiten Publikum ist er als Literaturredakteur des Deutschlandfunks und Moderator der ARD-Sendung „Druckfrisch“ bekannt. Der ambitionierte Koch und aktuelle Träger des Champagne-Preises für Lebensfreude, der auch als Herausgeber und Autor erfolgreich in Erscheinung tritt, beschließt mit seinem Auftritt (Sonntag, 6. Dezember, 20.00 Uhr im Theater Erfurt; der Abend ist bereits ausverkauft) traditionell die Erfurter Herbstlese.

Kürzlich bei der TV-Show „Zimmer frei“ – es gibt zwei rote und ganz, ganz viele grüne Karten. Warum wollen die Menschen mit einem Literatur-Kritiker in eine WG ziehen?

Aber das liegt doch auf der Hand: Literaturkritiker machen im Vergleich zu Schlagwerkern kaum Lärm, schmutzen wenig und sind, gemessen an Renaissancepäpsten, enorm günstig im Unterhalt!

Sie haben dabei schamlos auf die tierische Karte gesetzt. Wie viel der Zustimmung geht auf das Konto von Stubbs, Ihren Jack-Russel-Terrier, der mit im Studio war?

Nach Ansicht meines Hundes 99 Prozent. Wie er mich politisch überhaupt in vielem an die SED erinnert. Stubbs ist eben dogmatisch.

Die Existenz des Hundes haben Sie ihrem Herbstlese-Publikum verschwiegen. Was eigentlich noch?

Über meine Tätigkeit für den Geheimdienst möchte ich an dieser Stelle eben so wenig sprechen wie über meine Vergangenheit im Milieu. Sagen wir einfach: ich habe mich nach oben geschlafen wie wir alle.

Ein Hund ist der einzige Freund, den man sich kaufen kann. Macht das Kritiker-Leben einsam? Woher kommt der Name Stubbs?

Stubbs trägt seinen stolzen Namen nach dem britischen Maler George Stubbs. Meine Frau und ich waren mal in London und wollten in der National Gallery unbedingt Stubbs‘ Pferdebild „Whistlejacket“ sehen. Die Monumentalität dieses überlebensgroßen Gaulportraits hat uns dann beide fast erschlagen, und wir wunderten uns, warum wir beide nicht damit gerechnet hatten, dass „Whistlejacket“ solche Dimensionen aufweisen könnte. Schließlich kamen wir auf den Trichter, dass es an dem niedlichen Malernamen gelegen haben muss. Und deshalb ist Stubbs ein sehr guter Name für einen kleinen Hund.

Johannes Rau sagte über seinen Riesenschnauzer Scooter: Als Hund eine Katastrophe, als Mensch unersetzlich . . .

. . . das gilt für Stubbs unbedingt. Sein zweiter Name lautet „Personal Trainer“. Und einige Autoren mögen ihn auch. Sibylle Lewitscharoff zum Beispiel. Auch Donna Leon ist in ihn vernarrt und fragte neulich, als sie erfuhr, dass ihm Vegetarier die liebsten Gäste bei uns sind: „Mr. Stubbs shows, yet again, his judgment and good taste. Are vegetarians his preference because they would be less likely to eat him if times got really hard or because vegetarians taste better, should he decide to eat one?” So führt uns Stubbs immer wieder zu den Aporien unseres Denkens.

War die ganze „Zimmer frei“ Aktion nur dafür da, um sich bei Christine Westermann beliebt zu machen? Was halten Sie von der Neuauflage des „Literarischen Quartetts“?

Als wir die Sendung aufzeichneten, wusste ich davon nichts. Aber eine schönere Konkurrenzsendung als diese hätte ich mir nicht wünschen können. Nur weiter so!

Das Jahr 2015 brachte den Abschied von Hellmuth Karasek und Fritz J. Raddatz; wie ist es um die Literatur-Kritik in Deutschland bestellt?

Danke der Nachfrage, mir geht’s blendend. Mache ich auf Sie einen kränkelnden Eindruck?

Aber nein, Sie sprühen nur so vor Champagne-Lebensfreude!

Im Ernst: um die Literaturkritik in Deutschland ist mir nicht bang. Sorgen mache ich mir eher um das Feuilleton generell. Der Abbau dort schreitet rapid voran, irgendwann wird es so weit kommen wie im sogenannten „Kulturressort“ von Spiegel-Online, wo die Vermeldung der Tatort-Quote der Aufmacher ist. Die Selbstverblödung kennt eben keine Grenzen.

Gute Kritik bedarf guter Literatur. Was erfreut gerade ihr Bücherherz?

Mich hat „Rosenstengel“ beeindruckt, ein formal sehr souverän geschriebener Briefroman von Angela Steidele, in dem sie von der letzten Frau erzählt, die in Europa wegen lesbischer Unzucht hingerichtet wurde – und von dem bayrischen Märchenkönig Ludwig II. Als Lyrikerin hat mir Daniela Seel mit „Was weißt du schon von Prärie“ imponiert. Im Krimi fand ich die neue Fred Vargas „Das barmherzige Fallbeil“ toll. Und dass die von dem österreichischen Septime Verlag mit einer phantastischen Werkausgabe geehrte James Tiptree der Kafka des 21. Jahrhunderts ist, hat sich ja herumgesprochen.

Welches literarische Ereignis sollte unter keiner Tanne fehlen?

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich zusammen mit meiner Schulfreundin Eva Gritzmann in diesem Herbst das Sachbuch „Solons Vermächtnis“ geschrieben habe, in dem wir gegen den grassierenden Jugendkult polemisieren und das beim Kauf von fünf Exemplaren oder mehr auch zuverlässig gegen Haarausfall, Tollwut und Zahnschmerzen hilft? Unter den Romanen hat mich Jonathan Franzen mit „Unschuld“ fasziniert, Martin Amis mit „Interessengebiet“, Ilija Trajonow mit „Macht und Widerstand“, unter den Essays Monika Rincks „Risiko und Idiotie“ und unter den Sachbüchern Ulrich Raulffs „Das letzte Jahrhundert der Pferde“.

Knallharte Recherche: Wie und womit hat sich Sterneköchin Léa Linster bei Ihrem Besuch in Friesange ihr außergewöhnliches Wohlwollen in „Druckfrisch“ erkocht?

Léa Linster besitzt die Gabe, alle in einem Raum Anwesenden schlagartig mit ihrer guten Laune anzustecken.

Hah! Wir wissen dass es einen formidablen Steinbutt gab. Helfen (Ihnen) Kochbücher beim Kochen?

Aber ja. Zum Beispiel die wunderbaren Werke von meinem schwäbischen Landsmann Vincent Klink, der mir in seinem Buch Paris aus kulinarischer Perspektive nahebringt, oder Jürgen Dollase, der in „Kopf und Küche“ kulinarische Intelligenz zeigt. Am meisten gelernt habe ich vermutlich aus Paul Bocuses Standardkochbuch. Und Nathan Myhrvold hat wirklich ein Maßstäbe setzendes Werk mit seiner sechsbändigen „Modernist Cuisine“ vorgelegt.

Gibt es im Hause Scheck zu Weihnachten besondere Traditionen. Was bekommt Stubbs?

Stubbs mag am liebsten Cote de boeuf, hat aber mit der korrekten französischen Aussprache nach wie vor Probleme. Wir mögen am liebsten Wild. Das ist ja im Grunde der einzige praktikable Ausweg aus dem heiklen philosophischen Fleisch-Diskurs: Veganer werden oder Jäger.

Als Jamie am Ende von „Tatsächlich Liebe“ um die Hand der schönen Aurelia anhält, begründet er das sinngemäß damit, dass ja Weihnachten ist; wann wäre sonst Hoffnung für wenig aussichtsreiche Wünsche. Was soll für Sie demnächst in Erfüllung gehen?

Natürlich dasselbe. Wer würde nicht gern Portugiesisch können?

Obrigado, Senhor Scheck.

Gespräch mit Denis Scheck

Fotos: Holger John

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