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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Okt. 02 2014

Deutschlands erster und einziger Extrembotaniker

Feders fabelhafte Pflanzenwelt

Jürgen Feder bestritt in Erfurt seine erste Lesung überhaupt.
Jürgen Feder bestritt in Erfurt seine erste Lesung überhaupt.

Was soll man von einer Lesung berichten, bei der Notizen nicht erlaubt sind? Denn die findet Jürgen Feder blöd. Wer auf seinen Exkursionen zu viel mit Stift und Papier hantiert, ist nicht gelitten. Die Kenntnis über die heimische Pflanzenwelt kommt nicht über Nacht, ist sich der 54-Jährige sicher. Wer mehr als fünf bis zehn Arten im Kopf behalten will, um sie später allein sicher bestimmen zu können, muss sich bescheiden. Also, fordert Deutschlands erster und einziger Extrembotaniker, ist Zuhören bei ihm die erste Bürgerpflicht.

Ganz ehrlich, etwas anderes bleibt dem geschätzten Publikum auch gar nicht übrig. Der Norddeutsche spricht schneller, als eine Mimose die Blätter zusammenklappt, wer nicht aufpasst, bleibt hoffnungslos zurück. Rücksicht wird nicht genommen, so hat es Jürgen Feder immer gehalten. Oberster Grundsatz: Nicht bummeln.

Es ist nicht zu glauben, dass er in Erfurt seine allererste Lesung bestreitet. Aber er besteht darauf. Seit seinen zwei Auftritten in Stefan Raabs Fernsehshow „TV total“ ist der gelernte Gärtner ein Star. Oder sollte es zumindest sein. Es scheint nichts zu geben, was er über Deutschlands Flora nicht weiß. Dabei sieht er sich selbst lange nicht am Ende einer botanischen Lebensexkursion, die als Kind mit seinem Vater begann. Die er mit seinen Kindern und wechselnden Partnerinnen fortsetzte, wobei erstere manchmal, und letztere für immer verloren gingen. Er trägt es ihnen nicht nach, denn als genialem Verrückten ist ihm sein, ganz vorsichtig ausgedrückt, Spleen durchaus bewusst.

Der mit Steffi ein vorerst gutes Ende genommen hat. Die Frau, die mit ihm heute auf Pflanzenjagd geht, hat sich schon als Mädchen einen Mann gewünscht, der ihr ein Herbarium mit Gräsern verehrt. Für Feder ist das eine der leichteren Übungen, und doch auch immer wieder ein Grund, sich über dieses unverhoffte Glück zu freuen.

Keine Frage, er hat es verdient. Von der floristischen Dauerpirsch lässt es sich in Deutschland nicht üppig leben. Zumal Jürgen Feder, wie alle echten Naturschützer, wenig zu Kompromissen neigt. Über Jahre hielten die Aufträge diverser Umweltämter zur Kartierung von Flora und Biotopen den Familienvater über Wasser, bis er sich mit seinen Auftraggebern überwarf. Die hatten doch im eigenen Land (Niedersachsen) verschollene Arten einfach importiert und angepflanzt. So ein Mist, erregt er sich in Erfurt, und gibt zu, ein, vielleicht auch zwei Mal solche Pflanzen einfach wieder ausgerissen zu haben.

Nein, da versteht er keinen Spaß. Der Natur pfuscht man nicht ins Handwerk, die sorgt schon für die ihren. Verschwindet eine Pflanzenart, findet sich an ihrer Stelle eine andere. Noch wird jede sich bietende Nische, sei sie auch so klein, wieder besetzt. Dafür liefert Jürgen Feder den theoretischen Nachweis, als er das Kapitel vom Kyffhäuser inklusive Rauhaarigem Alant, Breitblättrigem Laserkraut und Grauscheidigem Federgras (wohl nicht mit dem Autor verwandt) vortragt. Dazu hat er praktisches Anschauungsmaterial dabei: Gewöhnliches Leinkraut, Kleines Liebesgras und Behaartes Franzosenkraut, das er am Nachmittag zwischen Bahnhof und Buchhandlung in Erfurt aufgespürt hat.

Bei allem Witz, bei aller Freude ist es Jürgen Feder dennoch todernst damit, die Liebe zur Pflanzenwelt unter die Leute zu bringen. Du kannst nur schützen, was du kennst, ist sein Credo. Darum ruft er seine Zuhörer auf, wieder hinauszugehen, auf Wiesen und Weiden, in Wälder und an Seen, ins Gebirge und auf die Müllhalde, um zu erleben, was es dort alles zu entdecken gibt.

Gut möglich, dass sein Auditorium, das größte, das er wohl je hatte, dieser dringenden Bitte auch nachkommt. Nicht an diesem Abend, da ist es zu spät, aber gewiss schon an einem der kommenden Tage. So soll es mit Brecht enden: Sie ehren ihn, indem sie sich nützen!

Ach so, der Architektentrost. Einige Pflanzen würde Jürgen Feder gern umbenennen. Den Efeu zum Beispiel, der mit seiner urwüchsigen Kraft manches verdeckt, was am Bau nicht wirklich gelungen scheint. Die schlechteste Idee ist das nicht.

Feders fabelhafte Pflanzenwelt

Fotos: Holger John

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