Ein Herbstlese-Extra mit den Herren Habeck und Mensching im KulturQuartier (II)
Poesie und Politik
Von Hanno Müller
Es hatte etwas von behaglicher Wohnzimmeratmosphäre. Der Berliner Politstar der Grünen, Robert Habeck, und der Rudolstädter Theaterleiter, Regisseur und Schriftsteller Steffen Mensching auf der Bühne des jungen KulturQuartiers im Schauspielhaus, eingesunken in weiche Polster bei schummrigem Licht. „Poesie & Politik“ betitelte der Verein Erfurter Herbstlese sein Extra zum bevorstehenden Lese-Festival. Was haben sich Politik und Kunst zu sagen, wo gibt es Schnittmengen, wo Kontroversen oder gegenseitige Vorbehalte?
Wirklich beharkt haben sich die beiden in den zwei kurzweiligen und launigen Stunden nicht. Dazu waren sie sich in vielen Punkten zu einig. Etwa in der Bewertung des Streites um Uwe Tellkamp und seine Äußerungen zu Wirtschaftsflüchtlingen. Über Inhalte lasse sich streiten, Meinungsstreit dürfe aber nicht per se unter dem Siegel von Rede- oder Denkverboten abgewürgt werden, fanden beide. Man solle sich wieder mehr zuhören, so Habeck. Mensching störte sich an der autoritären Attitüde und am Postulat, dass man Dinge in Deutschland nicht mehr sagen dürfe. „Ein Tellkamp darf alles sagen, und das weiß er“, so der Theatermann.
Auf gleicher Welle befand man sich auch in der Wertschätzung für die Fridays-for-future-Bewegung. Durch ihren Protest schafften es die Jungen, dass der Klima-, Arten- und Umweltschutz eine neue Dynamik bekomme, konstatierte der Politiker. Mensching verbat sich die Maulereien von Älteren, die die Demonstrationen als eine Form von Schulschwänzerei abtäten. Die Welt stehe am Abgrund, ein „weiter so“ dürfe nicht sein. Anders als Altkanzler Helmut Schmidt, der Menschen mit Visionen zum Arzt schicken wollte, halte er es für einen Vorteil, dass die Kids eine Vision für die Zukunft der Welt hätten.
Insgesamt hätte man sich mehr Gespräch der beiden untereinander gewünscht. Die Moderation lies das nur bedingt zu. Mal wurde der eine, mal der andere befragt – was nicht heißt, dass dabei nicht Interessantes zur Sprache gekommen wäre. Robert Habeck erzählte von seiner Jugendzeit am Strand in den späten 80ern, von der Generation Golf, die unidealistisch abfeierte und den Wohlstand der Eltern genoss – bis er gemerkt habe, dass das zwar ein cooles Leben war, politisch aber etwa fehlte. Die protestierende Jugend verkörpere heute, was er sich schon damals erhoffte, „nun erlebe ich das eben mit 50“, so der Politiker. Seine Jugendbücher seien inzwischen auch dank seiner Popularität bei Verlagen und Lesern wieder gefragt. Angesprochen auf den Ausstieg bei Twitter & Co. versicherte er, dass er ohne den Dreck und Hass, der über alles und jeden ausgeschüttet werde, deutlich besser schlafe. Nun müsse er es nur noch schaffen, auch nicht mehr zu googeln, was man über ihn schreibt.
Mensching erzählte von der Arbeit an seinem Mammutwerk „Schermanns Augen“ über den Gulag und seiner Faszination für die Ideale der Figuren. Wer heute eine demokratische Gesellschaft wolle, müsse Teilhabe ermöglichen. Aktuelle Entwicklungen in Osteuropa oder den USA zeigten, dass Demokratie gefährdet bleibe und Freiheiten wieder eingeschränkt oder genommen werden können. Geradezu warmherzig war sein Bekenntnis zum Theaterpublikum in der Thüringer Kleinstadt.
Zum Abschluss sollten beide Lieblingstexte lesen. Bei Robert Habeck kamen sie von Paul Celan und Bertolt Brecht, Steffen Mensching trug Goethe vor.
Die Veranstaltung „Poesie & Politik“ widmete der Thüringer Schriftstellerverband der Erinnerung an den Politiker und Dichter Hans-Jürgen Döring (1951-2017). Sie wurde in Kooperation mit dem KulturQuartier Schauspielhaus, dem Lese-Zeichen e.V. und dem Thüringer Literaturrat e.V. sowie mit freundlicher Unterstützung der Kulturstiftung des Freistaats Thüringen vorbereitet und realisiert. Dieser Artikel erschien zuerst in der "Thüringer Allgemeinen" vom 19. September 2019.
Habeck und Mensching im KulturQuartier
Fotos: Viadata, Holger John