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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 07 2015

Launiger Fußball-Abend mit Eduard Geyer im Atrium der Stadtwerke

Thüringer Heimspiel eines Sachsen

Der Osten, die Bundesliga oder die Trainer-Ausbildung in der DDR - Eduard Geyer präsentierte sich in Thüringen kenntnisreich wie meinungsstark.
Der Osten, die Bundesliga oder die Trainer-Ausbildung in der DDR - Eduard Geyer präsentierte sich in Thüringen kenntnisreich wie meinungsstark.

Von Sigurd Schwager

Aller guten Dinge sind drei.

Nach seinen Auftritten in Apolda und Sömmerda beendet Eduard Geyer seine Thüringer Herbstlese-Gastspielreise in Erfurt vor großer Kulisse im Atrium der Stadtwerke. Von der ersten Sekunde an spürt man: Dies wird ein Heimspiel für den Sachsen mit dem großen Fußballkönnen und dem noch größeren Fußballsachverstand.

Die Vita des Mannes ist beeindruckend: Zweimal, 1971 und 1973, gewinnt Ede Geyer, Jahrgang 1944, als Spieler die DDR-Meisterschaft sowie einmal, 1971, den FDGB-Pokal mit Dynamo Dresden. Er ist Teil jener Mannschaft, die man vielleicht die beste in der Geschichte des DDR-Fußballs nennen darf, die mit ihrem attraktiven Spiel Aufsehen erregt und sich damals auf Augenhöhe mit Bayern München befindet.

Als Trainer schließlich führt er seine Dynamos 1989 mit Spielern wie Ulf Kirsten, Matthias, Sammer, Jörg Stübner, Hans-Uwe Pilz und Ralf Minge zur Meisterschaft. Im Sommer dieses Jahres, als die DDR bereits zu wanken beginnt, übernimmt er zusätzlich das Traineramt der DDR-Nationalmannschaft. Wie die DDR endet auch ihre Fußball-Nationalmannschaft im Herbst 1990. In Brüssel wird am 12.

September 1990 2:0 gegen Belgien gewonnen. Beide Tore schießt Matthias Sammer. Es ist ein Sieg für die Geschichtsbücher. Aus. Schluss. Vorbei.

Dieser Sieg kann bis heute seinen Schmerz nicht lindern, dass in turbulenter Wendezeit im Spiel gegen Österreich die WM-Teilnahme 1990 in Italien vergeigt wurde. „Ich wäre gern als Trainer nach Italien zur WM gefahren.“

Nach der Wende mit Stationen auf Schalke, in Siofok und Leipzig führt Eduard Geyer Energie Cottbus aus dem Fußball-Niemandsland 1997 ins Pokalfinale sowie in die 2. Bundesliga. 2000 gelingt der Aufstieg in die 1. Bundesliga. Danach beginnt das eigentliche Wunder von Cottbus: Die Mannschaft hält sich dort drei Jahre.

Das alles und noch viel mehr kann man jetzt in dem Buch „Einwürfe“ nachlesen. Es ist der Extrakt vieler und langer Gespräche über Fußball, die Welt und das Leben, die der Journalist Gunnar Meinhardt mit Eduard Geyer geführt hat. Dazu gibt es noch reichlich Fotos und statistisches Material.

Die Gespräche sind authentisch. Wenn man sie liest, hört man Ede Geyer sprechen. Immer schlagfertig, immer höchst meinungsfreudig. Genauso erlebt ihn auch das Erfurter Publikum, das seine Freude hat an dem launigen Gespräch zwischen Eduard Geyer und Jens Panse, dem Vize-Chef der Erfurter Herbstlese.

Geyer, der sein Nationaltrainer-Debüt in Erfurt gab, weiß, was er dem Auditorium schuldig ist. Er erzählt, dass als Kind die Erfurter Meisterelf seine Lieblingsmannschaft war. Er erinnert an viele tolle Dresden-Erfurt-Spiele und verrät, dass er damals statt nach Cottbus lieber nach Erfurt als Trainer gegangen wäre. Wie und woran das scheiterte, hat er im Buch ausführlich geschildert.

Später, beim Beantworten der vielen Fragen aus dem Publikum, kommt noch einmal seine Sympathie für Erfurt ins Spiel. Wie er reagieren würde, wenn ihm Erfurt einen Berater-Job anböte, will ein Mann wissen. Er könne sich das durchaus vorstellen, sagt Geyer.

Geduldig und mit ungebrochenem Witz beantwortet er Frage um Frage der neugierigen Zuhörer. Im Erinnerungsteil dürfen natürlich die beiden berühmtesten Begegnungen aus der Dresdner Europapokal-Historie nicht fehlen, die Achtelfinalspiele gegen Bayern München im Herbst 1973. Nach dem 3:4 in München liegt Dynamo Dresden im Rückspiel 0:2 hinten, weil der pfeilschnelle Uli Hoeneß zweimal dem schnellen Verteidiger Ede Geyer entwischt. Dann dreht Dynamo das Spiel, führt 3:2, kassiert doch noch den Ausgleich durch Gerd Müller – und scheidet aus dem Landesmeister-Pokal aus. Ein deutsch-deutsches Duell für die Fußball-Ewigkeit. "Das war jetzt keine nette Frage", sagt Ede Geyer und lächelt dabei.

Viel wird auch nach dem Wunder von Cottbus gefragt. Eduard Geyer, der durchaus selbstbewusst, aber kein Prahlhans ist, versucht sich an einer komplexen Erklärung vielfältiger Ursachen und Umstände. Eine Dame, die extra aus Cottbus zu dieser Lesung nach Thüringen gereist ist, sagt es ohne Umschweife so: „Warum Cottbus aufgestiegen ist? Ganz klar: Wegen Ede Geyer!“

Weiter geht es im munteren Frage-Antwort-Spiel: Lieblingsspieler? Thomas Müller gefalle ihm, der sei momentan in jeder Beziehung einer der Besten. Der beste TV-Co-Moderator? Mehmet Scholl. Andre Schürrle? Du liebe Güte, vielleicht delegieren sie den nach Erfurt. Videobeweis?

Unbedingt. Ob er sich für Frauenfußball interessiere? Für Frauen schon. Das gekaufte Sommermärchen 2006? Die ganze Welt sei bestechlich, aber die Deutschen seien besonders doof. Die EM-Favoriten? Deutschland auf alle Fälle, Frankreich als Gastgeber, Italien immer und vielleicht noch Belgien oder Spanien.

Am Ende gibt es viel Beifall. Obwohl er schon mehr als genug Pluspunkte besitzt, hat er in den gut anderthalb Stunden noch viele weitere bei seinen Fans gesammelt. Dieser wiederum holen sich emsig Autogramme. Ein Sportfreund aus Erfurt hat sogar sein uraltes Fußballalbum aus Kindertagen mitgebracht und lässt sich das leicht vergilbte Foto der Dresdner Meistermannschaft 1972/73 signieren.

Man wünscht sich am Ende der Veranstaltung, dass doch nicht aller guten Dinge drei sind. Und hofft, es möge der Herbstlese gelingen, ihn ein viertes Mal nach Thüringen zu holen. Zu einem Gipfel. Hans Meyer und Ede Geyer im Gespräch. Da könnte man dann fast schon in die Messehalle wechseln.

Ede Geyer im Atrium der Stadtwerke

Fotos: Uwe-Jens Igel

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