Kristina Stella präsentiert in der Stadt- und Regionalbibliothek Siegfried Pitschmanns „Erziehung eines Helden“
Versuchte Wiedergutmachung
Siegfried Pitschmann wird in seinem untergegangenen Land großes Talent bescheinigt. Man traut dem gelernten Uhrmacher als Autor den großen Wurf zu; Werke zum Ruhm und zur Ehre des deutschen Staates der Arbeiter und Bauern. Doch sein Debüt gerät zum Desaster; selbst Kollegen verreißen, kulturpolitisch höchst korrekt, die „Erziehung eines Helden“. Der Roman darf nicht gedruckt werden. Fast sechs Jahrzehnte später holt Kristina Stella Pitschmanns Dichtung in die Wirklichkeit zurück. Eine Buchvorstellung, 13 Jahre nach dem Tod des Autors, in der Stadt- und Regionalbibliothek.
Man mag darüber philosophieren, ob es späte Gerechtigkeit geben kann; zumal eine nach dem Tode. In ähnlichen Fällen wird oft von Verpflichtung und Schuld gegenüber denen gesprochen, denen Unrecht geschah. Das ist bestimmt auch nicht falsch. Wichtig scheint aber auch, dass dieses Unrecht über die Zeit erzählt, die es erst möglich machte. So lässt sich der Roman „Erziehung eines Helden“ nicht isoliert betrachten. Erst die Einordnung in die Zeit seines Entstehens hilft zu verstehen, warum dem Buch selbst der kleinste Erfolg verwehrt blieb.
Es geht damals, Ende der 50-er Jahre in der DDR selten um Fragen des Geschmacks. Meist ist man froh, überhaupt etwas zu haben. Das Angebot ist, in gewisser Weise, über das materielle hinaus alternativlos. In solchen Zeiten haben es Menschen, die anders sind, besonders schwer. Gerade wenn alles planmäßig und störungsfrei laufen soll. Zweifel, Schwierigkeiten stören da nur.
Für einen wie Siegfried Pitschmann, der sein Werk eng an die eigenen Lebenserfahrungen knüpft, keine guten Voraussetzungen. Der Obrigkeit geht es weniger darum, wie etwas ist, sondern wie es sein sollte. Von einem Dichter erfordert es eine Art Flexibilität, die nicht jeder mit seinem Anspruch verbinden kann.
Brigitte Reimann, in dieser Zeit mit Siegfried Pitschmann verheiratet, stellt das Diktum der Herrschenden so dar: „Sie kennen die Theorie, aber sie kennen die Praxis nicht, und wo die Praxis nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmt, muss sie umgelogen und zurechtgerückt werden.“
Kristina Stella zitiert diese Worte in ihrem höchst lesenswerten Nachwort zum Roman. Auch bei der Lesung in der Stadt- und Regionalbibliothek bezieht sie dieses Nachwort immer wieder mit ein. Es erklärt, wie Siegfried Pitschmanns Leben bis zu seiner Zeit in der „Schwarzen Pumpe“ verlief, zeigt die Brüche, auch die Irrungen des künftigen Schriftstellers. Es belegt das hohe Maß an eigenem Erleben, das in dem Roman steckt. Es lässt, nicht zuletzt, erahnen, wie schwer den Debütanten die Ablehnung traf, eine Verletzung, die ihn schließlich sogar in einen Suizid-Versuch treibt.
Es ist dies sicher nicht die, der reinen Menge nach, für das Publikum anziehendste Lesung der Saison. Doch wäre die Herbstlese ohne solch einen Abend um einiges ärmer. Er sorgt für das nötige Gleichgewicht, wenn Stars und Sternchen der verschwundenen Republik sich und ihr Leben präsentieren. Siegfried Pitschmann, der 2002 verstarb, kann das nicht mehr. Das hat für ihn Kristina Stella übernommen. Ihr gebührt großer Dank dafür.