Furioser Herbstlese-Abend mit Saša Stanišić

Rückblick
today Dienstag, 19.11.2024
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Von Gießkannen, Witwen und Lebenswirren

Wie der Erfolgsautor Saša Stanišić dem Erfurter Herbstlese-Publikum einen außerordentlich fröhlichen Abend bescherte

Erfurt. Das Heizwerk ausverkauft, auf der Bühne ein vielfach preisgekrönter Schriftsteller. Saša Stanišić, geboren in Jugoslawien, seit 1992 in Deutschland lebend und ein  Meister der Sprache, der Beobachtung und der originellen, fesselnden Texte. Er hatte sein jüngstes Buch mitgebracht, das den durchaus herausfordernden Titel trägt: „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“. Wo vorne ist war eine der Fragen, die an diesem Abend noch eine Rolle spielen sollten.

Herbstlese-Chefin Monika Rettig hatte einen herausragenden Autor,  einen virtuosen Sprachkünstler und eine „Rampensau“ angekündigt. All diesen Zuschreibungen wurde Stanišić gerecht. Da er seit einigen Wochen mit dem Buch auf Lesereise ist, hat er die Texte weitgehend auswendig drauf und nutzte den Abend zu einer fröhlichen, verschmitzten Performance und einer dauerhaften Interaktion mit dem ebenfalls immer fröhlicher werdenden Publikum. Dabei sind die Texte keinesfalls nur federleicht, es geht wie immer bei ihm um Herkunft, Lebensträume, Wege und Irrwege und um das genau beobachtete Alltagsleben.  Der Mann liebt seine Figuren und er liebt das Publikum. Und so erzählt er in seinem Geschichtenbuch vom Proberaum des Lebens für vier junge Ausländerkinder in Deutschland. Von den Nöten eines Mannes beim Entsorgen eines alten Memory-Spiels, bei dem nicht nur die Tücken der Abfallwirtschaft zutage treten, sondern auch Kommunikations-Strukturen, die einem allzu bekannt vorkommen. So gipfelt ein Anruf bei der Stadtreinigung im Satz: „Bei Medikamenten: Hauptsache nicht ins Klo.“ Auf den Satz freue er sich seit zwei Seiten, strahlte Stanišić. Und er stellte seinen  Zuschauern die titelgebende Witwe Gisel vor, die an ihrer eigenen Tür klingelt und hofft, dass jemand öffnet. Was tun mit der Menge an Erinnerungen? Gute Frage. Witwer Leip jedenfalls bemüht sich um die alte Dame - und beim Gießkannen-Code, so erfahren wir, zeigt der Ausguss vom Grabstein weg.

Wie schön, wenn ein Autor bei einer Lesung, die diesmal  fast einer Theateraufführung glich, so viel Begeisterung versprüht.  „Manchmal vergess ich so Sätze, die ich geschrieben habe“, verriet  er,  ganz offensichtlich erfreut, sie wiederzutreffen.

Der Abend war das reine Vergnügen, offenbar auch für Saša Stanišić selbst. „Das war was Besonderes für mich. Ich möchte nächstes Jahr sehr gern wiederkommen“, sagte er, ehe er sich der ellenlangen Signierwunsch-Schlange widmete. Nur zu.

Text: Birgit Kummer, Fotos: Lutz Edelhoff