Trio Kriminale als Dream Team

Rückblick
today Freitag, 08.11.2024
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Håkan Nesser, Dietmar Bär und Margarete von Schwarzkopf  in der Zentralheize

Håkan Nesser, Dietmar Bär, Margarete von Schwarzkopf - dieser so verschwenderisch besetzte Herbstlese-Dreierabend verspricht, kriminell gut zu werden. Locken doch vereint im Erfurter Novembergrau: erstens ein berühmter, in mehr als 20 Sprachen übertragener schwedischer Kriminalschriftsteller mit millionenfacher Leser- und Zuschauerschaft; zweitens als deutsche Stimme von Nessers Werk ein beliebter Schauspieler, dem der hiesige Fernsehsonntag einen der sympathischsten "Tatort"-Kommissare verdankt; drittens schließlich als Übersetzerin eine fabelhafte Moderatorin mit eigenen Krimis im Portfolio.

Und wie es sich für ein solches Dream Team gehört, präsentiert das Trio Kriminale seine Expertise in der Zentralheize, die mit ihrem edel-spröden Charme zweifellos zu den interessantesten Veranstaltungsorten der Stadt gehört. Die Nachfrage jedenfalls ist übergroß, der Saal ausverkauft und der Empfang durch das Publikum vorfreudig lautstark. "Beruhigen Sie sich!" dämpft lächelnd Dietmar Bär, und für einen Moment vermeint man, hier spreche gerade der gute alte Freddy Schenk zu aufgeregten Zeugen am Kölner Tatort.

Besonnen wie sein Kommissar löst der Mime in Erfurt gleich noch einen Fall in eigener Sache. Er blickt auf den Tisch, stutzt, falscher Text, steht auf und verlässt die Bühne, um alsbald mit dem richtigen Vorlese-Exemplar zurückzukehren. Ende gut, alles gut. Erfurt ist immerhin das Finale einer ausgiebigen Lese-Tour, auf der Håkan Nesser seinen Kriminalroman "Ein Brief aus München" vorstellt. Hierbei handelt es sich um den achten Buch gewordenen Einsatz von Inspektor Gunnar Barbarotti, der seit 2006 ermittelt.

Es wird nicht sein letzter Auftritt sein, erfährt das Publikum. Nummer neun liegt schon vor im schwedischen Original, Nummer zehn soll folgen, und vielleicht zieht Inspektor Gunnar Barbarotti  sogar noch mit Kommissar Van Veeteren gleich, was die Bücherbetrifft. In Erfurt liest Håkan Nesser zur Einstimmung ein kurzes Stück in seiner Muttersprache aus "Det kom ett brev fran München". Dann schaut er nach links: "Dietmar, bitte!"

Tischnachbar Bär übernimmt und liest aus dem 1. Kapitel. "Als Lars Rute zwei Tage vor Heiligabend im Jahr des Herrn 2020 an einer Tankstelle stand und den Tank füllte, erkannte er - in einem Augenblick kurzzeitiger Einsicht -, dass er auf praktisch alles wütend war." Auf seinen Bruder und seine Frau, auf Covid-19 und die staatliche Gesundheitsbehörde, auf die Spritpreise und die Syrer in Södertälje, auf das Eishockeyteam von Oskarshamm und den Mundschutz, dieser Kinderunterhose im Gesicht.

Schon ist man mittendrin im Romangeschehen. Weihnachten 2020 nimmt in der Kälte des schwedischen Winters und im Schatten von Corona ein mörderisches Drama seinen kriminalklassischen Lauf. "Ein abgelegenes Anwesen in Schweden, vier Geschwister, ein Mord an Weihnachten" liest man auf dem Buchdeckel sehr kurz und griffig zum Inhalt. Noch knapper schafft es nur der Autor, der in Erfurt spricht: "The family is the problem."

Natürlich erfährt das Publikum nicht, wer denn nun den bekannten Künstler Ludvig Rute in seinem Haus umgebracht hat und warum. Weder aus den von Dietmar Bär wunderbar vorgetragenen Passagen noch durch das muntere Bühnengespräch. Später selber lesen (oder Bär hören) macht schlau. Der Herbstlese-Berichterstatter notiert sich in der Zentralheize einen schönen familiären Satz, den Håkan Nesser über den ermittelnden Inspektor Gunnar Barbarotti spricht: „Er ist mein kleiner Bruder."

Selbiger und dessen Gattin sowie Kollegin Eva Backman gehen diesmal in einer sehr speziellen Zeit auf Tätersuche, denn "das Virus war allgegenwärtig, das Leben verlief auf Sparflamme... Sie hatten den ganzen Herbst gearbeitet und es war ihnen aus unklaren Gründen gelungen, sich nicht anzustecken. Vor zwei Tagen erst hatten sie sich getestet, und Backman dachte darüber nach, ob sie nicht doch unsterblich waren. Immerhin trafen sie Menschen, mutmaßliche Virusträger, und das mehr oder weniger täglich." Jetzt begleitet beide auf dem Weg zum Tatort nur die Gewissheit, dass der Maler kein Corona-Opfer ist. Denn, so Barbarotti: "'Das Virus ist heimtückisch wie der Teufel, aber ich habe bisher nicht gehört, dass es uns mit stumpfen Gegenständen erschlägt.' 'Zumindest noch nicht'", sagt Eva Backman und tätschelt sein Knie.

Wie im Krimi ist die Pandemie auch in der Gesprächsrunde auf der Bühne als Thema präsent, wobei das nicht nur für diesen Abend gilt, sondern überhaupt für den 28. Herbstlese-Jahrgang. Ob nun Hape Kerkeling, Caroline Peters, Håkan Nesser oder manch anderer Erfurter Lese-Gast: Sie alle haben öffentlich bekundet, dass die Corona-Umstände und -Zwänge zur Entstehungsgeschichte ihrer neuen Bücher gehören, sie zum Teil gar voraussetzen. Irgendwann, denkt der Berichterstatter, könnte das vielleicht ein Fall für die interessierte Literaturwissenschaft werden.

Das hoch interessierte Erfurter Publikum dankt am Ende dem Trio, welches die Dream-Team-Erwartungen ebenso unterhaltsam wie anregend erfüllt hat, mit rauschendem Beifall.

Text: Sigurd Schwager
Fotos: Erfurter Herbstlese