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Erfurter Herbstlese
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April 15 2015

Am Beispiel Erfurts zeigt Sabine Ebert im Ratsgymnasium, wie es Deutschland nach der Völkerschlacht erging

Schicksalsjahre einer Stadt

Passend zur Zeit, in der ihr neuer Roman "1815 - Blutfrieden" spielt, trug Sabine Ebert bei ihrer Lesung ein Empirekleid mit Husarenjäckchen.
Passend zur Zeit, in der ihr neuer Roman "1815 - Blutfrieden" spielt, trug Sabine Ebert bei ihrer Lesung ein Empirekleid mit Husarenjäckchen.

Das Jahr 1815 war sicher eines der Schicksalsjahre in der deutschen Geschichte. Nach dem Napoleon den Kontinent mit seinen Kriegen überzogen hatte, schickte sich der Kontinent an, seine Beziehungen neu zu regeln. Der Wiener Kongress steht als Synonym dafür. Sabine Ebert hat dazu jetzt ein über 1000 Seiten starkes Werk vorgelegt. „1815 – Blutfrieden“ erzählt davon, wie es nach der Völkerschlacht in Leipzig in Deutschland weiter ging. Im Ratsgymnasium steht dabei bei ihrer Lesung, für die der Herbstlese-Verein die Geschichtsmuseen der Stadt als Kooperationspartner gewinnen konnte, ein Ort im Mittelpunkt: Erfurt.

Dieses Thema liegt in Erfurt natürlich nahe und mag zunächst schlichten Marketing-Erwägungen genügen. Viele Menschen lassen sich nun einmal am liebsten ihre eigene Geschichte erzählen, sie mögen es, wenn die eigene Chronik zugleich Weltgeschichte schreibt. Der Autorin indes ist am Beispiel Erfurt eines wichtig: Zu zeigen, wie groß doch die Unkenntnis über Ereignisse ist, die in der Vergangenheit liegen.

Das klingt im ersten Moment paradox. Umso mehr, als Sabine Ebert nach dem Vorgänger-Roman „1813 – Kriegsfeuer“ auch aus Erfurt viele Hinweise zum Fortgang der Geschichte erhielt. Sie sei, erzählt sie dem Publikum, gerade hier auf das trefflichste bei ihrer Arbeit unterstützt wurden. Das Stadtarchiv hatte, nur für sie, die wichtigsten Unterlagen für ihre Recherche auf einigen Tischen ausgebreitet; „fast so etwas wie ein Kuratorium“ stand ihr zur Seite, schreibt sie auch in der Danksagung zu ihrem Roman. Dort – und bei der Lesung – erwähnt sie Hardy Eidam und vor allem Frank Palmowski stellvertretend auch für andere. Doch dem breiten Publikum, den Einwohnern der Stadt, ist die Bedeutung Erfurts gerade in dieser Zeit für die Entwicklung Europas unbekannt.

Man mag das bedauern, Sabine Ebert versucht, aufzuklären. Mit all der Last, die solch ein anspruchsvoller Ansatz in sich trägt. Auf der einen Seite ist ihr Roman dem realen Ablauf der Dinge verpflichtet, auf der anderen Seite möchte sie unterhalten. Ein schwieriger Spagat, die Dinge zu glätten und zu vereinfachen, und dennoch auch dem Urteil der Kundigen zu genügen.

Sabine Ebert kann das. Seit Jahren ist sie im Genre zu Hause. Fundierte Kenntnisse bilden die Basis für ihr Schreiben. Und, wichtiger vielleicht noch, erlauben ihr eine eigene, eine aus Wissen getragene Sicht auf das Geschehene. So wird sie gegenüber ihren Lesern im Buch und auf der Bühne sehr deutlich. Die Hoffnung der Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf einen gründlichen Wandel, eine Besserung ihrer Lebensverhältnisse, erfüllt sich nicht. Die Freiheitskriege führen zur Befreiung der Völker von fremden Joch, aber nicht zu mehr Freiheiten gegenüber den Herren zu Hause. Kurz, statt einem Mehr an Selbstbestimmung oder einer von unten getragen Einigung des deutschen Vaterlandes erleben die Protagonisten ihres Romans wie die Patrioten der Freiheitskriege eine herbe Enttäuschung – die Restauration der alten Mächte.

„Ich lasse mich davon nicht abbringen“, fasst sie ihre Haltung in Erfurt zusammen, „es ging nicht um Befreiung – das waren Eroberungskriege.“ Die Gewinner des Krieges, allen voran Preußen und Russland, hatten von Anfang an nur eines im Sinn, die Verteilung der Beute; Polen für die einen, und Sachsen für die anderen. Den Preis für das kontinentale Morden zahlte, so wie es bis heute üblich ist, die Zivilbevölkerung. Nicht allein nur durch die Drangsal der Besatzung und der Belagerungen, den Hunger und all die kleinen Ungerechtigkeiten des Alltags, sondern vor allem durch die mörderische Krankheit, den Typhus, der mit den Armeen marschierte.

Diese Erkenntnisse reifen in ihren Romanhelden und erreichen so den Leser. Der kann, so er will und er an derlei intellektuellen glaubt, aus der Historie der Generationen vor ihm einiges lernen. Das geht, weil im Roman die Geschichte in Geschichten daherkommt.

Fast zwei Stunden berichtet, erklärt und liest Sabine Ebert in Erfurt. Dem Publikum ist danach nicht mehr nach Fragen, und das zeugt, in diesem Fall, nicht von Desinteresse. So sucht die Autorin dann selbst auf Antwort auf die nächstliegende Frage: Was wird sie nach dem „Blutfrieden“ schreiben. Sie wisse es selbst noch nicht so genau, meint die Autorin, und man hört dabei doch heraus, eine Fortsetzung des Romans ist nicht unmöglich.

So ist es an Hardy Eidam, ihr am Ende zu danken; mit den obligatorischen Schoko-Trüffeln von der Krämerbrücke; Geschichte mit Geschmack sozusagen. Parallelen zum Roman sind da durchaus erlaubt.

Sabine Ebert im Ratsgymnasium

Fotos: Holger John

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