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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Sept. 27 2013

Torsten Unger

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Aggressiver Pathos

Torsten Unger lässt die Kritiker auf Schiller los - und umgekehrt

„Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben . . .“  lautet eine Zeile, die viel und gern zitiert wird. An ihrem Fortgang scheiden sich die Geister. Während die einen summen „ . . . wenn ihm die schöne Nachbarin gefällt“ und sich dabei Roland Kaisers gewiss sind, vollenden die anderen klassisch „ . . .  wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Die Textsicherheit letzterer setzt indes Textkenntnis nicht unbedingt voraus; nur wenige wissen diese Worte Friedrich Schiller zuzuordnen und sehen sie als gängige journalistische Ouvertüre zu Berichten über Maschendrahtzäune und anderen Unbill des Zusammenlebens.

Torsten Unger beginnt seine Lesung im Erfurter Cafe Nerly mit einigen Gedanken über geflügelte Worte. Wie er bei der Arbeit zu seinem Buch über die Kritiker Schillers immer wieder feststellte - das ist ja auch von ihm. Schiller, so seine Erkenntnis, ist so lebendig, weil er in unserer Sprache lebt.

Freilich einigermaßen unerkannt. Denn selbst der Interessierte, der seine Zitate richtig von Schiller herzuleiten weiß, kennt in der Regel den Urtext nicht. So mancher hat schon einmal generös gesagt „Raum ist in der kleinsten Hütte“, ohne Ahnung und ohne sich zu fragen, wessen Worte er da im Munde führt.

In diesem Sinne ist Schiller ein Geist; man spricht von ihm und wird seiner doch nicht ansichtig. Torsten Unger hat sich auf die Spuren dieses Phantoms gemacht. Er bedient sich dabei einer interessanten Technik. Weniger schreibt er über Schiller, denn mehr, was andere über den Dichter zu sagen, oft zu spotten, manchmal zu klagen haben, mit Häme und offensichtlicher Lust, den heftig Angegriffenen zu verletzen. Der derart mit Schmutz beworfene, tritt er zur Seite, hinterlässt seine Konturen. Die sind umso schärfer, je mehr Dreck auf ihn fliegt – und lassen den Inhalt seiner Schablone umso reiner, ja strahlend zurück.

Ungers Technik ist nicht neu. Er hat sie vor Jahresfrist bereits für Johann Wolfgang von Goethe verwendet. Jetzt, mit seinem zweiten Buch, ist das Weimarer Dichterpaar wieder vereint. Als ein „Goethe-Schiller-Denkmal der besonderen Art“ rühmt es daher Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig zu Beginn des Abends.

Ganz auf dem Sockel lässt Torsten Unger seinen Dichter aber nicht. Er hätte nicht gedacht, wie aggressiv Schiller in seiner Kritik werden konnte. Zum Beispiel gegenüber Gotthold Friedrich Stäudlin. Der hatte es doch tatsächlich gewagt, sich als größter dichtender Schwabe über Schiller zu stellen. Dessen Antwort: Er werde ihn zermalmen! Was Schiller dann mit Hilfe ätzender Rezensionen und anderer literarischer Gemeinheiten auch schaffte; Stäudlin und seines Werks erinnerte bald kein Mensch mehr, heute schon gar nicht.

Es ist bestimmt ein Verdienst Torsten Ungers, den Namen der Vergessenen und Verkannten ein klein wenig Leben zurückzugeben; sei es auch um den Preis, dass er die Häme gegen sie auferstehen lässt. Wie etwa Friedrich Nicolai, den sich das Weimarer Paar via Xenien ganz unvornehm, fast unverfroren, so richtig vornahm. Auch andere kriegen ihr Fett weg, Karl August Böttiger etwa oder die Schlegel-Brüder.

Mit fortschreitendem Abend kommen dann die Kritiker zu Wort, gegen deren Anwürfe sich Schiller selbst nicht mehr wehren konnte. So beschreibt Torsten Unger die Wandlung Friedrich Nietzsches vom Schiller-Freund zum, man muss wohl sagen, Schiller-Hasser. Er zeigt, wie moderne Dichter begannen, dem allzu großen Pathos, dem ständigen Blick hinauf zum Olymp, zu misstrauen. Es ist nun einmal so, gesteht der Autor ganz in der Tradition von Hans Magnus Enzensberger oder Volker Braun, dass Schiller in seinen Werken Gefahr läuft zu überdrehen; nur eine kleine Windung mehr, und das Große stürzt ab, wird Schwulst und Phrase.

So endet der Abend dann folgerichtig in Parodien der Schiller-Teste, die, so Torsten Unger, inzwischen als Anthologien zu haben sind. Seine Lieblingsverse hält er vor dem dankbaren Publikum nicht zurück. Sie entzücken ihn so sehr, dass er sie wiederholt: „Loch in Erde, Bronze rin, Glocke fertig, Bimm, Bimm, Bimm.“

Na, wenn das der Schiller gehört hätte.

Torsten Unger „Freiheitsschwabe und Moral-Trompeter: Schillers Kritiker“, Sutton Verlag, 239 Seiten 12,95 Euro

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