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Aug. 30 2023

Drei Herren und ein Buch: Erinnern an den Schriftsteller Matthias Biskupek

Worte ohne Verfallsdatum

Der vor zwei Jahren verstorbene Thüringer Schriftsteller Matthias Biskupek stand im Mittelpunkt eines bewegenden Abends im Kultur: Haus Dacheröden. (Foto: thk Verlag)
Der vor zwei Jahren verstorbene Thüringer Schriftsteller Matthias Biskupek stand im Mittelpunkt eines bewegenden Abends im Kultur: Haus Dacheröden. (Foto: thk Verlag)

Von Sigurd Schwager

Sein 2015 erschienenes Buch „Der Rentnerlehrling. Meine 66 Lebensgeschichten“ beendet Matthias Biskupek auf Seite 350 mit dem Satz: „Sollen doch andere weitererzählen.“

Sollen sie nicht, lieber M. B., müssen sie aber doch seit jenem Frühlingstag vor zwei Jahren.

Abschied für immer. Mit 70 Jahren. Wie so viele verneigt sich damals auch Rudolstadts Theaterintendant Steffen Mensching, der ohne das Ehepaar Biskupek kein Wahlthüringer geworden wäre, am Grab des Freundes, spricht mit ihm und erzählt von ihm: „Als wir uns kennenlernten, waren wir junge Poeten, voller Optimismus und Leidenschaft für unsere Begabung und das Talent des anderen (...) Du warst bescheiden, wahrhaftig, aber gleichzeitig durchaus unbescheiden und selbstbewusst, d. h. Du wusstest, was Du kannst. Und hast Dich nicht leicht irre machen lassen, weder durch Lob noch durch Ignoranz. Deswegen hast Du, auch wenn mal öffentliche Anerkennung versagt blieb, immer weitergeschrieben. Und Buch an Buch gereiht. Deine Frau hat dir zwei Deiner Bücher mit in die Kiste gepackt. Den ‚Quotensachsen‘ und den ‚Rentnerlehrling‘. Hätte man Dir von all Deinen Büchern ein Exemplar, von all Deinen Beiträgen in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften nur die Druckseiten mit auf die Reise gegeben, wäre die Kiste zu klein geworden oder zu schwer, die Seile würden womöglich zerreißen...“

Diese und reichlich andere von Herzen kommende und zu Herzen gehende Sätze, sind einer Biskupek-Neuerscheinung aus dem Vorjahr beigegeben, die nun auf der Erfurter Sommerbühne am letzten Dienstag im August vorgestellt wird. Und zwar, schöner Zufall, eben dort, wo der Rudolstädter Schriftsteller früher schon gelesen, geplaudert und mit dem Publikum gelacht hat: im Haus Dacheröden am alten Angerbrunnen, oben in der ersten Etage.

„Worte ohne Verfallsdatum“ titelt das Buch, für dessen Erscheinen vielen Ermöglicher zu danken ist: Ehefrau Sigrid und Sohn Johannes, der fördernden Sparkassen-Kulturstiftung und dem herausgebenden Bödecker-Kreis, Kevin Hallmann (Technik, Gestaltung) und dem Arnstädter THK-Verlag. Nicht zu vergessen  die Schriftsteller-Kollegen Landolf Scherzer (82) und Frank Quilitzsch (66) sowie die Literatur-Instanz Martin Straub (80). Sie eint über das Schreiben hinaus das weithin bekannte Thüringer Literatur Quintett, dem auch Biskupek und der 2017 verstorbene Hans-Jürgen Döring angehörten.

Die drei munteren Herren nehmen in Erfurt den verdienten Applaus für ihren Freundes- und Leserdienst entgegen. Sie haben Matthias Biskupeks Online-Tagebuch, das 2008 beginnt und 2021 endet, gesichtet, 3000 Seiten, daraus eine Auswahl getroffen und die ereignisreiche digital Zeitreise in die schöne alte Welt der raschelnden Papierseiten geholt. Lieblingsstücke und Erinnerungen an deren Verfasser verknüpfen die Ausleser bei ihrer Hommage auf unterhaltsame Weise.

Landolf  Scherzer macht den Anfang, liest und erzählt von gemeinsamen Erlebnissen, fasst sie zusammen: „ein buntes Spektrum von Neugier und Humor, Kreativität, Nachdenklichkeit, Energie und Ausdauer - also das Ebenbild von Matthias.“ Matthias Biskupek, der Querkopf und Veränderer, der Morgenschreiber und Geschichtskenner, der Antifaschist. Dann folgt das erste Tagebuch-Zitat des Abends, überschrieben Deutscher Poet, datiert vom 16. Januar 2016: „Zum Wetter. Der wichtigste deutsche Poet mischt sich wieder ein: Dichter Nebel.“ Heiterkeit im Saal, die bis zum Schluss prägend sein wird. Der Berichterstatter muss dabei wieder an Menschings Grabrede denken: „Du hattest einen enormen Vorrat an Humor und guter Laune. Dein Witz reichte bis auf die letzten Meter.“

Auf Scherzer folgt Martin Straub, der an Biskupeks Anfänge im Netz erinnert und daraus auch liest, beginnend mit einem Froschkönig-Vormittag inmitten von Grundschulkindern im Theater. „Er war immer schreibend unterwegs“, sagt Straub, oft pointiert mit einer erstaunlichen Treffsicherheit. Ein Mann mit Ecken und Kanten sei er gewesen, ein Polemiker, der sich nicht die Butter vom Brot nehmen ließ. „Leben und schreiben gingen bei ihm in eins. Zuletzt die Rudolstädter Literaturgeschichte. Er hat sie sich abgerungen, aber sichtlich auch Spaß daran gehabt. Den Wert dieses Büchleins wird man noch erkennen.“

Auch Frank Quilitzsch, der aus den jüngsten Tagebuch-Texten liest, bewundert den Freund und Immer-Schreiber, überhaupt den Biskupek-Sound. Man habe seine Website jedes Mal wieder ein bisschen klüger verlassen können. Mit geweitetem Blick „sowohl in die große Welt als auch in die kleine, ja, bis in die Tiefen der thüringischen Provinz, in der er letztlich verwurzelt.“

Die letzten Biskupek`schen Web-Zeilen, auch sie heiter grundiert, lauten: „Mund- und Nasenschutz Mittwoch & Donnerstag 3. bis 4. März 2021 Es ist ja dringend Mund-und Nasenschutz zu tragen. Vielleicht ist das auch bei Tagebuchtexten so zu praktizieren. Morgen werde ich einen weiteren Vers niederschreiben.“

Wird er nicht. Stattdessen: „Abschied Sonntag, 11. April 2021  M.B. verschied am 11. April 2021 im Beisein seiner Familie. Tagebuch-Ende.“

Ob man das alles im Netz heute noch nachlesen könne? Da ist sich Landolf  Scherzer in Erfurt nicht sicher. Ja, man kann. Vom Ende her klickt man sich Stück für Stück zu den Anfängen auf der Seite matthias-biskupek.de

Es ist eine gute Ergänzung, aber kein Ersatz für das schöne Druckwerk, wobei hier das Wort bestens mit den einfühlsamen Porträtfotografien harmoniert, die Sigrid Biskupek von ihrem Mann gemacht hat. „Die „Worte ohne Verfallsdatum“ kommen gut an. Das Publikum im Haus Dacheröden zeigt sich beeindruckt und spart am Schluss nicht mit Beifall für das Generationen-Lesebuch und den Auftritt der drei Mitherausgeber.

Ob Matthias Biskupek die Neuerscheinung gefallen hätte? Es ist stark zu vermuten. Ganz gewiss wäre es ihm eine große Freude gewesen, dass inzwischen Thüringer Schulen Klassen-Sätze seines Tagebuchs für den Gebrauch im Unterricht erhalten haben - gratis dank Sponsorenhilfe. Da dürfte das Gegenteil von Langeweile garantiert sein.

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