Sigrid Damm begibt sich mit ihren Lesern im Kultur: Haus Dacheröden auf eine ganz besondere Zeitreise
„Fragt, solang es noch möglich ist“
Von Birgit Kummer
Lange hat Sigrid Damm dieses Buchprojekt vor sich hergeschoben, mehrfach begann sie und widmete sich dann doch anderen Themen. Jetzt ist es fertig – die Besucher der Frühlingslese gehörten zu den ersten Lesern, denen die Autorin ihr druckfrisches Werk vorstellte.
„Im Kreis treibt die Zeit“ ist eine Familien- und Zeitgeschichte, in deren Zentrum der Vater der bekannten Autorin steht. Er wurde 1903 in Gotha geboren, verbrachte den Großteil seines Lebens hier. Das Buch ist die Verbeugung vor einem Mann, den Sigrid Damm zu seinen Lebzeiten so gar nicht verstand. Den sie ignorierte, ablehnte, oft auch verachtete, mit dem sie so manches Scharmützel ausfocht. 1993 starb er.
Ihr großes Bedauern über die „verschenkten“ Jahre, ihr großer Wunsch, späte Abbitte zu tun und dem Vater Gerechtigkeit und Anerkennung widerfahren zu lassen, führten zu detaillierten Recherchen in Archiven für Zeit- und Regionalgeschichte und zur Aufarbeitung der Familienbiografie. Es entstand ein berührendes Buch.
Im Publikumsgespräch wurde deutlich, dass Konflikte und Konfrontationen innerhalb von Familien für viele Menschen Thema sind. Vor allem jene, die Krieg und Nachkriegszeit erlebten, verharrten später oft in Sprachlosigkeit, Söhne und Töchter versäumten es, Fragen zu stellen.
„Man kann es nicht mehr gutmachen“, sagt Sigrid Damm und ermuntert: „Fragt, solang es noch möglich ist.“
Für sie war es ein Glück, dass Tochter und Vater in dessen letzten beiden Lebensjahren enger zusammenrückten. Es gab lange Spaziergänge, „Offenheit und Vertrautheit stellten sich ein.“ Sie habe sich geschämt für die „penetrante Besserwisserei“ in ihren jungen Jahren. Von ihm sei kein Groll, keine Verurteilung gekommen. Das Buch endet mit einer wortlosen, schüchternen Umarmung.
„Im Kreis treibt die Zeit“ ist anregend und unterhaltsam. Auf ihrer Spurensuche entdeckt Sigrid Damm auch ihre Geburtsstadt Gotha auf ganz neue Weise. Sie schaut zurück zu den Straßen und Plätzen ihrer Kindheit, staunt über Herzog Ernst den Frommen, beleuchtet mit Blick auf den Lebensweg des Vaters die Industrie- und Finanzgeschichte der Stadt. Sie recherchiert zum jüdischen Bankhaus Goldschmidt, zum Kriegsende und zum Gotha der Nachkriegszeit.
Der Blick fällt dabei auf viele Details. Als Kind sei sie zahllose Male gedankenlos durch die Gadolla-Straße gegangen, erzählte sie im Publikumsgespräch. Viel später erst habe sie erfahren, dass es Josef Ritter von Gadolla war, der die Stadt 1945 kampflos an die Amerikaner übergeben und so Tausende Leben gerettet hatte. „Vermutlich auch meines.“ Gadolla wurde kurz vor Kriegsende von einem NS-Gericht zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen. „Wenn ich heute Gotha besuche, bringe ich ihm jedes Mal Blumen vorbei.“
Sigrid Damm im Kultur: Haus Dacheröden
Fotos: Uwe-Jens Igel