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Erfurter Herbstlese
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März 16 2018

Wolfgang Schorlau präsentiert seinen neunten Dengler-Krimi bei Hugendubel

Ein Mann, ein Politthriller

Bei Hugendubel am Erfurter Anger holte Wolfgang Schorlau seine ursprünglich für den Herbst geplant Lesung nach.
Bei Hugendubel am Erfurter Anger holte Wolfgang Schorlau seine ursprünglich für den Herbst geplant Lesung nach.

Von Sigurd Schwager

Dengler ermittelt wieder. Dengler, der Detektiv mit BKA-Vergangenheit. Eigentlich sollte er das ja schon im vergangenen Herbst tun, aber besser später als gar nicht. So sorgt er jetzt zur Erfurter Frühjahrslese für einen spannenden Abend.

In der ausverkauften Buchhandlung Hugendubel stellt der Schriftsteller Wolfgang Schorlau der hiesigen Fangemeinde seinen noch druckfrischen neuen Dengler-Krimi vor. Die Nummer neun aus der Stuttgarter Bestseller-Schmiede trägt den Titel „Der große Plan“.

Doch ehe er darauf zu sprechen kommt, sagt Schorlau, dass er sich freue, wieder einmal in Erfurt zu sein. Schließlich habe er hier längere Zeit gründlich recherchiert. „Weil Sie“, lächelt er ins Publikum, „hier ja so ein ergiebiges Verfassungsschutzamt haben.“ Das Publikum lächelt verstehend sarkastisch zurück.

Die meisten im Raum kennen Denglers achten Fall „Die schützende Hand“, der vom NSU-Komplex handelt. Sie haben das Buch gelesen und auch den gleichnamigen Film gesehen. Später, gegen Ende der Erfurter Lesung, wird Wolfgang Schorlau noch einmal darauf zurückkommen. Auf die entsprechende Frage eines Zuhörers antwortet der Autor, dass er nicht massiv bedrängt worden sei. Nur einmal, damals nach seinem ersten Dengler-Roman „Die blaue Liste“ über die Ermordung des Treuhandchefs Detlev Rohwedder und den Selbstmord des RAF-Terroristen Wolfgang Grams, habe er eine Morddrohung erhalten. Seither nie wieder. Aber bei „Die schützende Hand“ habe man ihm schon die Werkzeuge gezeigt. Die Kritik an dem ZDF-Film sei bösartig gewesen.

Man merkt Wolfgang Schorlau in Erfurt an, dass ihn das noch immer beschäftigt. Nachzulesen auch auf seiner Homepage. Dort geht er ausführlich auf mediale Vorwürfe ein, er propagiere Verschwörungstheorien, vermische Fakten und Fiktion. Die Figuren und ihre Handlungen, schreibt der Autor, seien natürlich erfunden. Jedoch agierten Georg Dengler, Olga, Markus Brauer und all die anderen Charaktere auf der Grundlage sorgfältig ermittelter Tatsachen.

Und Schorlau weiter: „Wir wissen nicht zweifelsfrei, wie Mundlos und Böhnhardt zu Tode gekommen sind. Wir wissen nicht zweifelsfrei, was der Verfassungsschützer Temme zur Tatzeit am Tatort in Kassel getan und wahrgenommen hat. Wir wissen nicht zweifelsfrei, wer die beiden bewaffneten Zivilpersonen waren, die ein Zeuge unmittelbar am Anschlagsort in der Keupstraße gesehen hat. Nach ihnen wird bis heute nicht gefahndet.

Aufgrund unserer Recherchen zum NSU-Komplex bin ich mir jedoch sicher, dass ein großer Teil der offiziellen Geschichte, die das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft den Familien der Opfer und der Öffentlichkeit erzählen, sich so nicht zugetragen haben kann. Insbesondere glauben wir nicht, dass der NSU eine Terrorzelle war, die nur aus drei Personen bestand. Wir gehen davon aus, dass die Rolle der Inlandsgeheimdienste noch nicht ausreichend ausgeleuchtet ist. Insofern stellen Roman und Film Fragen, berechtigte Fragen, wie wir finden, und diese offenen Fragen erinnern daran, dass die Aufarbeitung des NSU-Komplexes noch lange nicht abgeschlossen ist, auch nicht nach einem Urteil gegen Beate Zschäpe und andere im Münchner Prozess.“

 Seit Wolfgang Schorlau, Jahrgang 1951, mit Ende 40 seinen Beruf als IT-Manager aufgab, um einen Kriminalroman zu schreiben und freier Schriftsteller zu werden, ist er seiner damaligen Idee treu geblieben. Alle neun bisherigen Dengler-Fälle sind Politthriller. Mal geht es um Treuhand und RAF, mal um das Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest oder den Krieg in Afghanistan, mal um Massentierhaltung oder kriminelle Machenschaften der Pharmaindustrie. Immer schickt der Stuttgarter Schorlau den Stuttgarter Dengler ermittelnd ins dunkle politische Getriebe.

Die Stuttgarter Zeitung nennt ihn den politischsten unter den Krimi-Autoren der Republik.
„Der große Plan“ bestätigt und bekräftigt diesen Ruf mit jeder Zeile, die Wolfgang Schorlau in Erfurt daraus vorliest.

Denglers bisher größter Fall führt ihn in die milliardenschwere Griechenlandkrise und dabei auch in eine Vergangenheit, die nicht tot, nicht einmal vergangen ist. Nicht von ungefähr stellt Schorlau das berühmte Faulkner-Wort seinem Griechenland-Buch voran, das auch und gerade ein Deutschland-Buch ist.

Der Ermittler sucht im Auftrag des Auswärtigen Amtes nach der verschwundenen hochrangigen Mitarbeiterin Anna Hartmann. Diese gehört als Beraterin zum Stab der Troika – Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds und Europäische Kommission – die über die Finanzhilfe für Griechenland befindet.

Ihn habe die Spur des großen Geldes interessiert, sagt Schorlau. Er habe wissen wollen, wo genau, auf welchen Konten die Abermilliarden der Griechenlandhilfe am Ende gelandet seien. Ihm sei dabei aufgefallen, dass man dazu in der allgemeinen Berichterstattung nichts erfuhr. Also habe er Dengler losgeschickt. Mit Hilfe von Hackerin Olga sei dieser dann langsam zum Kern der der Griechenlandkrise vorgedrungen: einer Bankenkrise.

Wolfgang Schorlau ist kein begnadeter Vorleser des eigenen Werkes, jedenfalls nicht an diesem Erfurter Abend. Dafür gibt er umso souveräner den freien Erzähler, der das Publikum mit Sachkenntnis und Witz in seinen Bann zieht und auch das große Wort nicht scheut: „Mein Buch ist ein Plädoyer für ein solidarisches Europa.“

Natürlich wird er auch nach den bisherigen Dengler-Filmen befragt. Sehr zufrieden sei er, sagt der Autor und fügt lächelnd hinzu: Ronald Zehrfeld sehe als Dengler im Fernsehen viel besser aus als der Dengler in seinen Büchern.

Der Berichterstatter fügt hinzu: Schorlaus Krimis bedurften nicht der Verfilmung, um bekannt, noch um Bestseller zu werden. Aber es gereicht der Krimi-Reihe gewiss nicht zum Nachteil, dass zwei Charakterdarsteller wie Birgit Minichmayr und Ronald Zehrfeld für die Rollen von Olga und Dengler gewonnen werden konnten.

Der ebenso spannende wie unterhaltsame Frühlingslese-Auftritt von Wolfgang Schorlau dauert länger als ein Fernsehfilm. Kräftiger Beifall kündet von einem zufriedenen Publikum, und der Autor dankt als geduldiger Signierer.

Wolfgang Schorlau bei Hugendubel

Fotos: Elisabeth Reck

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