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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Okt. 19 2017

Der Erfurter Verhaltensforscher Dr. Karsten Brensing stellte „Das Mysterium der Tiere. Was sie denken, was sie fühlen“ vor

Viele Grüße an den Raben in der Nachbarschaft

Karsten Brensings setzt sich dafür ein, dass Tiere Persönlichkeitsrechte erhalten.
Karsten Brensings setzt sich dafür ein, dass Tiere Persönlichkeitsrechte erhalten.

Von Sigurd Schwager

Soviel muss bei aller Weltläufigkeit schon sein: Wenn einer, der in Erfurt geboren wurde und heute in Erfurt lebt, ein interessantes Buch, einen Sachbuch-Bestseller gar, geschrieben hat, dann führt an ihm als Erfurter Herbstlese-Gast natürlich kein Weg vorbei. Gesagt, getan. Nun also steht ein sichtlich bewegter Mann in mittleren Jahren in der Buchhandlung Hugendubel am Erfurter Anger vor den vielen dichtgedrängt sitzenden Zuhörern, bedankt sich und murmelt ein freundliches „Abgefahren!“.

Mancher im Publikum wird vielleicht schon im Netz nachgelesen haben, was Dr. Karsten Brensing von sich selbst erzählt: „Als Kind habe ich zu viel Fernsehen geguckt und war großer Fan von Flipper. Es war somit nur konsequent, Meeresbiologe zu werden. Leider war das für mich als Staatsbürger der DDR nicht möglich, denn meinem Heimatland war ich so wichtig, dass sie mich nicht raus lassen wollten. Im Juni 1989 habe ich die sogenannte Diktatur des Proletariats gemeinsam mit meiner heutigen Frau verlassen und in den folgenden sechs Wochen das Abenteuer meines Lebens erlebt. Frisch eingebürgert in der Bundesrepublik Deutschland studierte ich in Göttingen Biologie und später in Kiel Meeresbiologie, wurde Forschungstaucher und nutzte die langen Semesterpausen für ausgedehnte Reisen.

Nach meinem Studium bemerkte ich, dass man als Delfinforscher Verhaltensbiologe und nicht Meeresbiologe sein muss (Lektion Nr. 1). Zum Glück gab mir der Verhaltensbiologe Prof. Todt von der Freien Universität Berlin dennoch die Möglichkeit bei ihm zu promovieren. Nun lernte ich die zweite große Lektion meines Lebens. Ich erforschte die Delfintherapie in Florida und Israel und musste aus meinen eigenen Daten erfahren, dass Delfine gar nicht gerne mit uns kuscheln und auch nicht gerne in unserer ‚Obhut‘ leben. Also wurde ich vom Delfinforscher zum Delfinschützer und arbeitete zehn Jahre als Wissenschaftlicher Leiter des Deutschlandbüros der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDC.“

Der autobiografische Eintrag endet mit den Worten: „Im Dezember 2012 wurden meine Zwillinge Vitus und Veverin geboren. Seit 2015 bin ich selbständig, habe mehr Zeit für ein Privatleben und entdecke mehr und mehr meinen Spaß am Schreiben.“

Sein jüngstes Spaß-am-Schreiben-Ergebnis nach „Persönlichkeitsrechte für Tiere“ (2013) heißt „Das Mysterium der Tiere. Was sie denken, was sie fühlen“. Sein Auftritt in Erfurt passt zu seinem Buch. Lockerheit und Sachlichkeit, Wissenschaft und Emotion vertragen sich gut. Und er ist zum Glück frei von eifernder Rechthaberei, die wir leider manchmal im öffentlichen Umgang mit dem Thema Tier erleben müssen. Dr. Brensings Herzensangelegenheit: die Individual Rights Initiative (IRI), die sich dafür einsetzt, dass Tiere Persönlichkeitsrechte erhalten, was ihren Schutz verbessern würde.

Tierfreund Brensing liest nur wenige Seiten aus seinem Buch. Für den freien Vortrag wählt er Begriffe wie Sprache, Liebe, Trauer, Selbstbewusstsein, Humor, Spaß und Spiel aus. Er verknüpft Alltagsbeobachtungen und Beispiele mit dem Erkenntnisstand wissenschaftlicher Forschung, zeigt dazu auch Fotos und kurze Filme. So entsteht ein Bild, wie Tiere womöglich denken und fühlen.

Er erzählt von vielen Rätseln, die die Wissenschaft schon lösen konnte, aber auch von Mysterien, die bis heute Mysterien geblieben sind. Viele Dinge, von denen das Säugetier Mensch lange glaubte, nur man selbst beherrsche sie, können Tiere auch. Der Autor berichtet von Delfinen, die sich einen Namen geben, von Elefanten, die ihre Toten beerdigen, von Tieren, die sich fair verhalten oder lügen und von Mäusen, die Dialekte haben, von Insekten, die Werkzeuge benutzen, von spielenden Fröschen und Schnecken im Hamsterrad, von Vögeln und Schweinen, die sich im Spiegel erkennen. Und so weiter und so fort.

Man kommt gar nicht mehr heraus aus dem Staunen und Nachdenken. Wobei einem natürlich bewusst bleiben sollte: Wenn der Autor und wir, sein Publikum, über Tiere als ihrer selbst bewusste und fühlende Wesen reden, dann beschreiben wir ihr Verhalten immer mit menschlichen Worten und fällen ein menschliches Urteil. Denn fragen können wir die Tiere nicht

Fragen dürfen hingegen die Zuhörer den Autor. Hat sich die Katze nur wegen uns Menschen ihr Miau angewöhnt? Können Tiere wirklich lieben? Wie ist das genau mit dem Oxytocin und dem Dauersex? Verstehen uns unsere Haustiere, wenn wir mit ihnen reden? Und antworten Sie?
„Sehr verständlich, sehr anschaulich, sehr vergnüglich.“ So bringt Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig am Ende den Abend auf den kürzesten Nenner, der von starkem Beifall beglaubigt wird.

Auf die Frage, was er mit seinem Buch „Das Mysterium der Tiere“ bei der geneigten Leserin und dem geneigten Leser bewirken wolle, hat Karsten Brensing neben anderen diese schöne Antwort gefunden: „. . . und vielleicht grüßen Sie von nun an höflich den einen oder anderen Raben in Ihrer Nachbarschaft.“

Der Berichterstatter verspricht, dies zu tun. Auch im Gedenken an Murlik, den klügsten aller klugen Kolkraben, über den der Tierfreund und Tierweltkenner Alfred Buckowitz in seinem Buch „Tiere und ich“, erschienen 1952 im Petermänken-Verlag Schwerin, spannende Verhaltens-Dokumentarprosa schrieb. Murlik war damals leider kein langes Leben beschieden. Ein Forstlehrling erschoss ihn mit der Schrotflinte. Er hielt den Raben nämlich für eine Krähe, und in jener Zeit wurde im Forstamt für jedes Paar Krähenfüße 20 Pfennige bezahlt.

Nicht immer war früher alles besser.

Karsten Brensing in der Buchhandlung Hugendubel

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