Torsten Unger stellt 50 neue Porträts Thüringer Autoren vor
Wiedersehen macht Freude

Von Sigurd Schwager
Mehr Deja-vu bei der Herbstlese geht nicht: Wieder neigt sich der November, und wieder nimmt das Publikum um 19:30 Uhr Platz im Haus Dacheröden. Wieder sitzt vorn am Tisch der Autor Torsten Unger, ein gebürtiger Erfurter, und stellt wieder sein neues Buch vor, wieder erschienen im Jenaer Mauke-Verlag, wieder illustriert von Verena Herbst.
Wieder füllen den schmalen Band 50 kurze und kurzweilige Autorenporträts. Wieder beginnt das Erklärstück auf dem Buchrücken mit Goethes Gedicht „Gefunden“: „Ich ging im Walde / So für mich hin, / Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn.“ Und wieder endet der Text mit Goethe: „Alle Portraitierten verbindet, dass sie einen unverwechselbaren und dauernden Beitrag zum geistigen Reichtum Thüringens geleistet haben. Und bei jedem gibt es Tipps für die folgende Lektüre, getreu: ‚Und pflanzt' es wieder / Am stillen Ort; / Nun zweigt es immer / Und blüht so fort.‘“
All das hier Beschriebene ist jedoch das Gegenteil einer Überraschung. Denn als der promovierte Germanist und erfahrene MDR-Kulturredakteur vor einem Jahr sein Buch „Gefunden. Meine Thüringer Autoren“ präsentiert, wird er am Ende hoffend gefragt, ob man mit einem Nachfolger rechnen dürfe. Vielleicht, antwortet Torsten Unger. Sofern sich das Publikum für sein Buch interessiere, schließe er das nicht aus. Die nächsten 50 Gefundenen, verrät er damals noch, stünden schon bereit.
Nun also sind Selbige tatsächlich versammelt in „Gefunden II“. Martin Luther macht den Anfang, und Lutz Seiler beendet den Reigen. Es handele sich auch diesmal, sagt Unger, um eine sehr persönliche, aber keineswegs willkürliche Auswahl. Er lässt sich von Entdecker-Neugier leiten. Große Namen stehen neben gut und weniger bekannten. Wieland und Herder, Schopenhauer und Marlitt, Konrad Duden und Max Weber, Thomas Mann und Erwin Strittmatter, Caroline von Wolzogen und Sigrid Damm, Elmar Faber und Wulf Kirsten...
Überrascht entdeckt man, als Autor eingereiht, den Maler Werner Tübke. Und bei Constantin Beyer, Carl Ludwig Fernow oder Helene Böhlau gesteht der Berichterstatter, von ihnen bislang noch nichts gehört oder gelesen zu haben.
Acht seiner Porträtskizzen liest Torsten Unger vor und startet im Thüringer Wald des 18. Jahhunderts mit Wilhelm Heinse, dem Enfant terrible des Sturm und Drang. Man merkt: Unger mag den Mann aus Langewiesen und dessen elegantes Deutsch und empfiehlt zum Nachlesen natürlich „Ardinghello und die glückseligen Inseln“. Es folgt Gabriele Reuter, um 1900 die große Dame der deutschen Literatur und heute längst vergessene Bestseller-Autorin, deren Grab in Weimar eingebnet ist.
Dann geht es weiter mit Walter Benjamin, der die Reformschule in Haubinda besucht hat, und mit der „undogmatischen Stalinistin“ Inge von Wangenheim. Tankred Dorst aus Oberlind, der meistgespielte Gegenwartsdramatiker der Bundesrepublik, tritt auf und nach ihm die aus dem Westen in die DDR übersiedelte Gisela Kraft. Das Finale gilt dann dem unbeirrbar eigensinnigen Harald Gerlach, der eine Zeit in derselben Straße wie Unger wohnt, sowie dem aufmüpfigen Günter Ullmann aus Greiz, einem Stiefkind des Ruhms.
Es ist eine bunte Mischung, die November-Tristesse durch manch heitere Szene aufhellt, aber auch mit bestürzenden Momenten für nachdenkliche Stille sorgt.
Nach dem kräftigen Beifall für den Autor und sein neues Buch bleibt nur noch eine Frage offen: die nach „Gefunden III“. Jung-Ruheständler Torsten Unger hält sich bedeckt und dabei an die Floskel-Lichtgestalt: „Schau‘n mer mal.“ Hätte man eine Umfrage im Saal veranstaltet, wären wohl zügig 50 respektable Kandidaten auf die Porträt-Wunschliste geraten. Vom Berichterstatter beigesteuert: Johannes Clajus, Christa Wolf und Matthias Biskupek.
Eine Gewissheit allerdings teilen Autor und Publikum an diesem Abend. Dafür sorgt Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig. Torsten Unger, sagt sie, sei auch mit all seinen künftigen Büchern ein herzlich willkommener Herbstlese-Gast.