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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 07 2014

Figaros Lese-Café bei der Herbstlese

Ein trojanischer Privatdetektiv

Wolf Haas hat für seinen Erzähler in der Krimi-Reihe um Detektiv Simon Brenner einen eigenen Sprachstil entwickelt. Dieser "Brenner Sound" ist vom Autor selbst vorgetragen besonders authentisch.
Wolf Haas hat für seinen Erzähler in der Krimi-Reihe um Detektiv Simon Brenner einen eigenen Sprachstil entwickelt. Dieser "Brenner Sound" ist vom Autor selbst vorgetragen besonders authentisch.

Zwei Uhr in der Früh werden zwei Operationsteams aus den Betten geholt und im Spital zusammengetrommelt. Weil, gerade sind zwei Patienten eingetroffen, denen die Hände abgehackt wurden. Also zweimal zwei gleich vier Hände. Alle tätowiert, mit Sprüchen. Der eine geht russisch los und endet griechisch. Es dauert, bis die erfahrene OP-Schwester Anna Elisabeth des Rätsels Lösung findet.

Bis es so weit ist, hat sich der Leser schon schön eingekichert. Der Zuhörer erst recht. Zumal, wenn er den Text vom Autoren vorgelesen bekommt. Zum Beispiel bei der Herbstlese, im Ratsgymnasium.

Doch der Reihe nach. Dies ist keine Lesung. Es ist ein Gespräch mit Musik und Leseproben. Der MDR ist in Erfurt zu Gast. Genauer das Lese-Café von Figaro. Neben Moderator Michael Hametner sitzt Wolf Haas auf der Bühne, am Flügel hat Stephan König Platz genommen.

Es geht um den zuletzt erschienenen Kriminalroman des Österreichers Wolf Haas. Der hat auch in Deutschland viele Fans. Sein Held Simon Brenner genießt Kultstatus. Vier Bücher wurden bereits verfilmt, das vierte kommt aber erst noch in die Lichtspielhäuser.

Die Herren reden darüber, wie Herr Haas wurde, was er ist. Ein anerkannter Schriftsteller. Zunächst war er ein Krimi-Autor, aus Notwehr. Weil er es satt hatte, die Kopien seiner Manuskripte an hundert Verlage zu schicken. Der sich deshalb auf die vier, fünf in Deutschland konzentrierte, die Krimis bringen. Der, damit auch gar nichts schiefgehen konnte, auf den Umschlag schrieb: An die Krimi-Abteilung.

Er hatte gedacht, einen Krimi werde er ja wohl noch hinbekommen, fügt Wolf Haas an. Er hat es geschafft. Auch wenn es nur die zweitbeste Lösung zu sein scheint.

Doch dieser Schein trügt. Kann es sein, dass seine Romane Trojaner sind, will Michael Hametner wissen? Bücher, die sich als Krimi einschleichen, die formal auch Krimis sind, aber bei denen mehr zwischen den Buchdeckeln steckt als nur Mord und Totschlag, Zeugenbefragung und Spurensicherung, die Suche nach dem Motiv und – als Höhepunkt – die Überführung des Täters?

Na klar steckt mehr dazwischen, möchte man dazwischenrufen. Aber vielleicht war die Frage auch eher rhetorischer Natur. In der Tat hat Wolf Haas mehr erfunden als seinen Privatdetektiv Simon Brenner. Er hat eine neue Erzählform kreiert, einen ganz eigenen Erzähler. Er hat dessen Geschichten aufgeschrieben, so wie man spricht. Nicht wie man schreibt. Ein großer Unterschied. Wäre der Brenner der Sherlock Holmes, wäre der Erzähler sein Watson. So einfach ist das.

Das Resultat derartiger Machination ist ein großes Lesevergnügen. Noch mehr schon als sonst liest man im Stillen laut mit. So entsteht, ohne ein Wort, ein unverwechselbarer Sound. Doch das ist nur der eine Kniff. Der zweite lässt sich als permanente Zuspitzung beschreiben. Ständig wird es noch ein wenig abstruser, ein klein wenig absurder. Ohne dass der Leser es merkt, driftet die Handlung in den Grenzbereich zum Surrealen ab. Ohne die Realität, also das, was ja vielleicht doch sein könnte, ganz zu verlassen. Dieser Grenzbereich, die dämmernde Realität, ist Simon Brenners eigentliches Zuhause.

Darum nützt es auch nicht viel, Inhaltsangaben zu machen. Nacherzählungen, das räumt der Autor ehrlich ein, lesen sich in den Rezensionen höchst banal. Daher dürfte die eingangs skizzierte Szene mit den zwei Männern und den vier abgehackten Händen auch wenig beeindrucken, selbst wenn die Pointe mitgeliefert wird: Die Schriften auf Unterarmen und Händen ergeben keinen Sinn, weil – die Hände vertauscht wurden. Gut, dass Schwester Anna Elisabeth aufgepasst hat.

Im Original klingt das so:

„Um zwei Uhr früh alle aus dem Schlaf geholt, wie vom Notarztwagen die abgehackten Hände angekündigt, da muss es schnell gehen. Das ist natürlich schon, da geht der Puls einmal. Da flattert er, frage nicht. Sogar bei einer erfahrenen Schwester wie der Anna Elisabeth.“

Vom Autor vorgetragen, in seinem Wiener Drei-Viertel-Deutsch, klingt das erst richtig zauberhaft. Doch diese Leseprobe ist noch nicht der Höhepunkt des Abends. Zum Schluss gibt es noch ein Kinderbuch zu hören. Es ist ein Gedicht. Weil, meint der Dichter, der Reim und das Reimen so in Misskredit geraten sind, kann er es erst recht nicht lassen.

Die Strophen der „Gans im Gegenteil“ sagt er auswendig auf, eine Technik, die er gern auch bei seiner Prosa anwendet. So entwickele der Text seinen eigenen, da ist es wieder, Sound, wird er gleichsam zur Musik, erklärt Wolf Haas.

Da liegt er nicht falsch, der Herr Schriftsteller. Den der Herr Moderator nicht entlässt, ohne eine feste Zusage: Ja. Dieser Brenner wird nicht der letzte sein.

Dann ist ja alles gut. Gans, Entschuldigung, ganz großer Beifall.

Wolf Haas und das Lese-Café von Figaro im Ratsgymnasium

Foto: Holger John

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