Vorgestellt von Dirk Löhr, Vorsitzender des Vereins Erfurter Herbstlese e.V.
Erich Kästner „Fabian“
Im Sommer habe ich etwas geschafft, das sich viele Menschen vornehmen, aber meistens doch nicht hinbekommen; ich habe mich von gut der Hälfte meiner Bücher getrennt. Entgegen meiner Erwartung fiel mir das Leeren der Regale weitaus leichter als befürchtet. Das mag an den vielen Jahren liegen, die mich das Vorhaben zuvor beschäftigte. Am Ende bewahrheitet sich Erich Kästners „Moral“, sein kurzes Gedicht mit der Vergewisserung, es gebe nichts Gutes, es sei denn, man tut es.
Natürlich gibt es in meiner Bibliothek auch Bücher, die nie Gefahr liefen, aussortiert zu werden. Zu diesen, nennen wir sie mit gutem Gewissen doch Lieblingsautorinnen und –autoren, zählt für mich selbstverständlich auch Erich Kästner. Der hat es bei mir gleich doppelt gut: Im Wohnzimmer steht die neunbändige Werkausgabe aus dem Hause Hanser, dazu finden sich, über alle Etagen verteilt, diverse Einzeltitel; seine Kinderbuchklassiker, am besten illustriert von Walter Trier. Auch wenn ich „Der 35. Mai“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ gefühlt auswendig nacherzählen könnte, ist es immer wieder schön, die reichlich abgegriffenen Bände in die Hand zu nehmen.
Ein etwas anderes Kaliber ist da „Fabian“. Dieser Roman verstört mich (auf eine nicht unangenehme Weise) vor allem mit seinem hochdramatischen Finale seit der ersten Lektüre vor inzwischen mehr als vier Jahrzehnten. Zusammen mit den Werken Hans Falladas und Erich-Maria Remarques ist die laut Untertitel Geschichte eines Moralisten hauptverantwortlich für meine anhaltende Faszination der Zeit in Deutschland zwischen den beiden verheerenden Weltkriegen.
Die Parallelen, die sich bei aller nötigen Distanz zwischen den Jahren der Weimarer und dem aktuellen Zustand der Berliner Republik finden mögen, lassen eine wiederholte Lektüre nur noch dringlicher erscheinen. Dieser Roman ist weit mehr als nur ein Porträt der Weimarer Republik, sondern auch ein tiefgründiges Werk, das die menschliche Existenz in einer zunehmend entfremdeten Welt erforscht.
Erzählt wird die Geschichte des Protagonisten Jakob Fabian, Werbetexter in Berlin, einem sensiblen und nachdenklichen Geist, der versucht, sich in einer irre schnelllebigen und von gesellschaftlichen Umbrüchen geprägten Zeit zurechtzufinden. Er begegnet den Menschen und den Ereignissen in seinem Leben mit einer Mischung aus Ironie und Melancholie.
Kästner nutzt Fabians Erlebnisse, um die sozialen und moralischen Verwerfungen der damaligen Gesellschaft zu beleuchten. Er stellt Fragen nach Identität, Einsamkeit, gesellschaftlicher Entfremdung und moralischer Verantwortung. Dabei gelingt es dem Autor meisterhaft, die Atmosphäre der Großstadt Berlin in den 1920er Jahren einzufangen und die Zwiespältigkeit der Zeit darzustellen.
Was "Fabian" so besonders macht, ist Kästners feinsinnige Sprache und seine Fähigkeit, die Tiefe der menschlichen Seele mit einem Hauch von Satire und Ironie zu beschreiben. Er vermittelt eine tiefe Sympathie für seine Figuren, selbst wenn sie in moralische Konflikte geraten. Dies verleiht dem Roman eine unverwechselbare Note und macht ihn zu einem Werk, das auch nach fast einem Jahrhundert noch aktuell und relevant ist.
Kurz: „Fabian“ ist ein Buch, das man immer wieder lesen kann, um neue Facetten und Einsichten zu entdecken. Viel Spaß bei der Lektüre wünscht
Dirk Löhr, Vorsitzender des Vereins Erfurter Herbstlese e.V.
PS: Weil ich es mal ausprobieren wollte, habe ich mir von der KI helfen lassen. ich denke, ein klein wenig merkt man es auch - aber für die Rechtschreibung hat es sich gelohnt.
Erich Kästner „Fabian oder Der Gang vor die Hunde"
Atrium Verlag
ISBN: 9783855353910
22,95 Euro
Das Buch kann unter diesem Link bei unserem langjährigen
Partner Hugendubel erworben werden.