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Erfurter Herbstlese
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Nov. 28 2013

Das schönste Gesicht des Mittelalters

Claudia (links) und Nadja Beinert beim Signieren ihres ersten Romans. Foto: Holger John
Claudia (links) und Nadja Beinert beim Signieren ihres ersten Romans. Foto: Holger John

Das Mittelalter ist eine merkwürdige Zeit, manche nennen sie dunkel. Nur weniges aus diesen etwa tausend Jahren mitteleuropäischer Geschichte gilt als sicheres Wissen, von vielen Ereignissen und Personen berichteten Schriftkundige oft erst Jahrzehnte später. Biografische Daten sind meist mit Fragezeichen versehen, ohne „soll“ und „könnte“ kommt kein seriöser Chronist aus. Ein russischer Mathematiker analysierte das Überlieferte, sichtete Dopplungen und Wiederholungen, erkannte wiederkehrende Muster nur mit anderen Namen und in einer anderen Zeit. Sein Schluss: Vieles ist so wahrscheinlich gar nicht passiert, weite Teile des Mittelalters gab es nicht, sie wurden von Nachgeborenen erst erfunden. Klar, dass dieser Mann unter Mediävisten wenige Freunde hat.

Exemplarisch für unsere heutige Unkenntnis kann Uta von Ballenstedt stehen. Ihr Geburtstag? Irgendwann um das Jahr 1000. Gestorben? Man weiß das Jahr nicht, es müsste vor 1046 gewesen sein, ganz sicher aber war es an einem 23. Oktober. Ihr Bruder Esico gilt als Stammvater der Askanier, aus denen im Laufe der Jahrhunderte das Haus Anhalt wurde, immerhin der Namensgeber für ein Bundesland (das auch eine gewisse Jekaterina Alexejewna hervorbrachte, die, als Prinzessin Sophie Auguste Friederike vonAnhalt-Zerbst-Dornburg geboren, als Katharina die Große, Kaiserin von Russland, einigen Weltruhm erlangte).

Uta ist auch weltberühmt. Als eine der zwölf Stifterfiguren des Naumburger Domes gilt sie als das schönste Gesicht des Mittelalters. Die Tourismusbranche der Region wird nicht müde, einen Satz zu zitieren, der Umberto Eco zugeschrieben wird: „Wenn Sie mich fragen, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst ich essen gehen und einen Abend verbringen würde, wäre da zuerst Uta von Naumburg“. Allerdings gibt es Quellen, die den Satz nicht so schnell enden lassen; der Italiener soll sich auch ein Date mit Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“ vorstellen können.

Egal, die Anziehungskraft der Uta ist ungebrochen. Zuletzt war es vor zwei Jahren die Landesaustellung von Sachsen-Anhalt, die ihren Ruhm mehrte. Dem Schöpfer ihrer Statue und der anderen elf Stifterfiguren des Domes, dem unbekannten Meister aus Naumburg gewidmet, zog die Exposition tausende Freunde von Romanik und Gotik in die kleine Stadt an der Saale.

Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten die Schwestern Claudia und Nadja Beinert bereits eine ganze Weile an ihrem ersten Roman. Das Mittelalter hat es den Zwillingen schon lange angetan, die Wahl ihrer Hauptfigur lag da wohl nahe: „Die Herrin der Kathedrale“ ist ihrer Mutter gewidmet. Für Uta „Utschi“ Beinert steht auf der Seite vor dem Inhaltsverzeichnis. Dahinter warten fast 800 Seiten darauf, erlesen zu werden.

Die beiden Autorinnen versuchen, die vielen Lücken in der Biografie der Uta von Ballenstedt zu schließen. Ihr Anspruch ist es, eine Geschichte zu erzählen, die der Geschichte gerecht wird, und die doch lesenswert, unterhaltsam und spannend ist. Ein Drittel der Zeit, die sie am Buch arbeiteten, brauchten sie für Recherchen, erklärt Claudia Beinert, die immerhin 10 Minuten ältere der Schwestern, bei der Vorstellung ihres Buches im Erfurter Café Nerly. Das Publikum weiß ihre Mühe zu schätzen, im großen Raum sind alle Plätze besetzt.

Claudia und Nadja lesen drei Szenen des Romans, die in das hohe Mittelalter entführen. Eine Zeit, in der eine Frau nicht viel mehr galt als die, die nun einmal die Kinder zur Welt bringen musste. Das Sagen hatte der Mann, und sei er auch jung an Jahren. So lernen wir Esiko kennen – die Beinerts haben sich für ein k in seinem Namen entschieden −, den Bruder, dem eine große Zukunft bevorsteht, und der seiner Schwester im Spiel der Kindheit  ganz selbstverständlich den Weg vorgibt.

Wir erleben, wie Uta ohne eigenes Verschulden beim Vater in Ungnade fällt und verstoßen wird; ein Gelübde, ein Gottesbeweis, kommt ihr nicht über die Lippen, ein unausgesprochenes Wort besiegelt ihr Schicksal.

Doch die zwei Autorinnen lassen ihre Heldin nicht im Stich. Uta geht ihren Weg, allen Widrigkeiten zum Trotz. Sonst ergäbe die Herrin im Buchtitel auch wenig Sinn. Was genau passiert, darüber schweigen sich die Schwestern bei der Lesung aus, sie wollen nichts verraten. Und tun es auf Nachfrage doch. Denn eines hat sich für Uta im Roman nicht erfüllt: die Liebe. Darum soll es im zweiten Band, an dem Claudia und Nadja Beinert schon fleißig schreiben, dann gehen.

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