Kjell Westö im HausDacheröden
Dunkle Schatten der Zeit
Europa in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Es ist eine düstere Zeit, die das Erstarken der deutschen Faschisten sieht wie die Niederlage der Volksfront in Spanien und den Beginn des Großen Terrors in der Sowjetunion. Ein Schatten liegt auf der Zeit, der von noch schrecklicheren Tagen kündet. Auch in Finnland, in Helsinki, wo Kjell Westös neuer Roman „Das Trugbild“ spielt, ist das zu spüren.
Der Finne, der zur Minderheit der Schweden in seinem Land zählt, ist mit seinen literarischen Helden zumeist in der Vergangenheit unterwegs. Im Gespräch mit seinem Übersetzer Paul Berf, der gemeinsam mit dem Erfurter Schauspieler Martin Schink und ihm an einem Tisch dem Publikum gegenüber Platz genommen hat, versuchen sie die Stimmung dieser Zeit in das Heute zu transponieren.
Es geht Kjell Westö wie vielen Schriftstellern seiner Generation, die das Schweigen der Älteren durchbrechen wollen; vielleicht auch aus der Verantwortung des Aufklärers heraus, bei Kjell Westö ist die Neugierde treibende Kraft. Beide Großväter starben in den Kriegen, die zusammen mit anderen den einen großen, den zweiten Weltkrieg bilden. Ihre Frauen sprechen nicht darüber, ein ganzes Land übte sich in Zurückhaltung.
Nicht das erste Mal. Die Finnen haben eine Geschichte, die denen der Polen und der Balten ähnelt. Zwischen großen Mächten aufgerieben, finden sie erst spät zu nationaler Eigenständigkeit. Zudem zu einem hohen Preis. Die Weißen und die Roten kämpfen erbittert um die Vorherrschaft im jungen Staat, und obwohl die Gefechte nur Monate dauern, vergiftet die Rache der Sieger die Gesellschaft. Zwanzig Jahre ist das im Roman her, doch ein Vergessen ist unmöglich, ein Vergeben ausgeschlossen.
Der Abend zeichnet das Bild eines unbekannten Landes. Kenntnisreich und interessant erzählen der Autor im Gespräch und sein Roman, der in zwei Passagen von Martin Schink mit großem Gefühl zum Vortrag kommt, von einer Geschichte, wie sie sich nur damals zutragen konnte, und die sich doch immer und überall wiederholt. Es ist das Verdienst des Autors, mit seiner Sicht auf Liebe und Verrat, Gewalt und Hoffnung, diese Geschichte dem Publikum auf eine unbekannte, gleichsam authentische Art zu erzählen.
Spannend ist sie zudem. Doch da sich die Pointe erst mit der letzten Seite zeigt, sei an dieser Stelle nicht mehr verraten. Der Autor hat es auch nicht getan. Ein guter Grund, so Übersetzer Paul Berf verschmitzt, sich das Buch zu besorgen – und es zu lesen.
Kjell Westö
Fotos: VIADATA