Amelie Fried im Gewerkschaftshaus
Überraschungen jenseits der fünfzig
Zehn Gebote sollten reichen, doch immer wieder kommt eins dazu. Ganz aktuell: Du sollst nicht spoilern. Das Verraten von wichtigen Passagen eines Buches oder Films, in der ganz üblen Variante sogar die Enthüllung des Finales, unterliegt schwerster gesellschaftlicher Ächtung. Aber wie das mit den verbotenen Früchten nun einmal ist, sie schmecken halt am süßesten. So versuchte es eine Besucherin bei der Lesung mit Amelie Fried und fragte gegen Ende: „Kommen Cora und Ivan wieder zusammen?“ Zur Antwort setzt es von der Bestseller-Autorin erst ein glockenhelles Lachen, dem ein verschmitztes „das wüssten Sie jetzt gerne“ folgt. Zumindest so viel: „Sagen wir mal, es gibt Hoffnung“.
Hoffnung nicht nur für die beiden literarischen Figuren, auch Hoffnung für die manchmal doch etwas verkorkste Welt da draußen. Sie ist der Schriftstellerin ein Anliegen und mit eine Basis ihres neuen Romans. „Traumfrau mit Lackschäden“ ist eben nicht nur ein Buch über das Älter werden. Es geht nicht nur um Falten im Gesicht und Beziehungen, die nicht mehr tragen. Es handelt von den Ansprüchen an das Leben und die Gesellschaft, die sich nicht plötzlich ändern, nur weil 50 Jahre seit der Geburt vergangenen sind. Das Buch ist, bei aller Leichtigkeit und heiterer Grundstimmung, durchaus ein Frauenroman. Aber einer mit Anspruch.
Das wissen die weit über 300 Besucherinnen im Gewerkschaftshaus – natürlich sind auch einige Männer zu sehen, die Amelie Fried besonders begrüßt – an ihrer Vorleserin zu schätzen. Die bricht das Eis mit dem Publikum, so es welches gibt, mit entwaffnender Freundlichkeit: „Schön, dass Sie da sind. Schön, dass ich da bin.“ Sie hätte auch sagen können, wieder da. Es ist ihre dritte Lesung nach 2001 und vor anderthalb Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Peter Probst. Klar kommt sie gern nach Erfurt, gibt sie zu, da kennt sie andere Orte, „wo man nicht tot über dem Zaun hängen möchte". Keine Frage, solche Worte finden Beifall.
Auch die Bitte, doch einmal nach einem Kissen Ausschau zu halten, sorgt für Heiterkeit. Und wird von Monika Rettig, der Programmchefin der Herbstlese, erfüllt. Nun sitzt Frau Fried ein wenig höher, sieht ihr Publikum besser und ist, wenn das geht, sogar noch ein wenig zufriedener.
Dazu hat sie wohl allen Grund; selbst über 50, nach mehr als 23 Jahren glücklicher Ehe, die Kinder aus dem Haus, scheint ihr alles zu gelingen, was sie anfasst. Ihre Frauenromane sind Bestseller, sie hat erfolgreich Sachbücher geschrieben, sie verfasst mit Freude Kolumnen, sie ist ein fröhlicher Mensch. Sie strahlt eine Herzlichkeit aus, die im Publikum nur zu gern aufgenommen wird.
Da spielt die Handlung des Romans eher eine untergeordnete Rolle. Wird er, wie seine Vorgänger bisher auch, verfilmt, dürfte dabei so etwas wie ein Episodenfilm herauskommen. Gerade das richtige für die Zeit nach der Tagesschau, an einem Tag eher zu Wochenbeginn, wenn der Samstag noch weit und fast unerreichbar scheint. So müssen sich auch keine Leserin und kein Leser von den über 400 Seiten „Traumfrau mit Lackschäden“ schrecken lassen, sie schmökern sich einfach und heiter weg.
Dem Buch sind die Zeilen vorangestellt „Manche Männer gehen, manche bleiben, man weiß nicht, was schlimmer ist“. Bei der Lesung ist das ein garantierter Lacher. Der letzte Satz lautet: „Sag noch mal einer, das Leben jenseits der fünfzig hielte keine Überraschungen mehr bereit.“
Dem ist nichts hinzuzusetzen. Und gespoilert ist es auch nicht.
Amelie Fried "Traumfrau mit Lackschäden"
Bilder: Holger John