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Erfurter Herbstlese
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Dez. 09 2014

Denis Scheck zum letzten Mal im Atrium der Stadtwerke

Eichhörnchen auf Speed

Denis Scheck ist für manchen Spaß zu haben, versteht selbigen bei schlechter Literatur aber ganz und gar nicht.
Denis Scheck ist für manchen Spaß zu haben, versteht selbigen bei schlechter Literatur aber ganz und gar nicht.

Warum hat das Finale der Herbstlese nur so eine große Anziehungskraft? Da wäre zum ersten, natürlich, der unvergleichliche Denis Scheck. Auf seine eigene Art warnt er vor Büchern, deren Lektüre nicht lohnt, und lobt überschwänglich die Texte, die – um es mit seinen Worten zu sagen – „unter keinen Weihnachtsbaum fehlen dürfen“.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Der Literaturkritiker lobt er mehr, als er verreißt. So kurz vor dem Fest, im Angesicht der vielen, vielen Neuerscheinungen, ist das sehr, sehr verdienstvoll.

Wobei sein negatives Urteil wenig milde ausfällt, da fallen schon Worte der Kategorie „wie ein Eichhörnchen auf Speed“ oder der Verweis auf „das Doofenregal“. Dort hat Denis Scheck in der Regel die Bestseller dieser Welt einsortiert. Der Verkaufserfolg eines Buches steht für ihn in der Regel in indirekter Proportionalität zu seinem literarischen Wert. Daher empfiehlt er für den Umgang mit den buchhändlerischen Verkaufsschlagern ein einfaches Prozedere: „Nehmen Sie das Buch, wickeln es in Folie ein und vergraben Sie es dann im Garten – wenn Sie es nach fünf Jahren immer noch lesen wollen, dann nur zu.“

Woran, wenn nicht an den Bestseller-Listen, soll sich der Leser dann orientieren? Da wären die Literaturpreise, erklärt er. Und en passant dabei auch den zweiten Grund des Erfolgs seiner Büchershow. Der Mann kennt sich aus. Nicht nur mit dem Nobelpreis oder dem Büchnerpreis, dem deutschen Buchpreis oder dem Preis der Leipziger Buchmesse, nein, er vergibt auch selbst welche wie jüngst erst den Bayerischen Buchpreis. Und er weiß nicht nur die Preisträger aufzuzählen, selbst im Schlaf würde er noch die Platzierten nennen können, und die, die über die Vergabe der Preise richteten. So darf er sich auch ein abschließendes Urteil erlauben. „Der beste Roman ist immer vom Zweiten“.

Seine Belesenheit, sein Wissen um die Literatur insgesamt, macht den dritten Grund aus, die Abende mit ihm zu lieben. Seine Rede ist gleichsam eine in Fußnoten, doch selbst in der Abschweifung mangelt es nicht an Tiefe. So ist es einfach nur schön zu hören, wie er zielsicher zwischen den Genres und Epochen mäandriert, mit einem kleinen Hang zum skurrilen Sachbuch, doch nur um am Ende, um bei der schlechten Metapher zu bleiben, eine belletristisches Delta zu erschaffen, das seine Fluten in das Urmeer alles Geschriebenen entlässt. Nur, dass es bei Denis Scheck entschieden besser klingt.

Punkt vier auf der Liste möglicher Erfolgsgründe ist dann noch das kollektive Gedächtnis, das gemeinsame Erinnern des Mangels. Wenn etwas knapp ist, ausverkauft, kann es doch nicht ohne Wert sein. Eine Erkenntnis, die nicht mit der DDR untergegangen ist.

Auf 39 Bücher bringt es eine andere Liste, die im Atrium der Stadtwerke auf jedem Stuhl zu finden ist. Es sind die gleichen Bücher, die auch vorn auf dem Tisch des Vortragenden stehen. Über die sich, fast im Zweiminutentakt, der Daumen des Kritikers hebt oder senkt.

Nicht allen von ihnen wird die gleiche Aufmerksamkeit des Meisters zuteil. Mit manchen macht er kurzen Prozess, bei der Besprechung anderer mag er nicht von der Stelle kommen. Unmöglich, all diese Verdikte zusammenzufassen. Zumal es genügend Hinweise auf andere Werke gibt, die gar nicht bei den 39 mit angeführt sind. Daher folgt zum Schluss eine, um im Bilde des Literaturbetriebes zu bleiben, short list der Scheckschen Empfehlungen.

Und, wie auch sonst, die Vorfreude auf Denis Scheck im Dezember 2015. Im Theater.

 

Die besonderen, nicht ganz alltäglichen Empfehlungen des Herrn Scheck für unter die Tanne

1. Evelyn Waugh „Verfall und Untergang“, Diogenes
„Die Mutter aller Herrenhaus-Romane.“

2. Kingsley Amis „Anständig trinken“, Rogner & Bernhard
„Ein großer Spaß“

3. J. A. Baker „Der Wanderfalke“, Matthes und Seitz Berlin
„Nicht zu klassifizieren.“

4. Martin Walser „Shmekendike blumen: Ein Denkmal / A dermonung für Sholem Yankev Abramovitsh“, Rowohlt
„Wenn Walser rühmt, stellt ihn keiner in den Schatten.“

5. Thomas Hettche „Pfaueninsel“, Kiepenheuer & Witsch
„Das Leverkusen der Literatur: Drei Mal für den Buchpreis nominiert, dreimal Zweiter.“

Denis Scheck im Atrium der Stadtwerke

Fotos: Holger John

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