Helge Timmerberg entführt die Leser in den Orient
Ein Joint für die Polizei

von Martin Moll
Auch einen, der unweit der Schlangenbeschwörer in Marokko schläft, durch Indien reist und übers Hochgebirge des Himalaya kraxelt, lässt ein Streik deutscher Lokführer nicht kalt. Helge Timmerberg reckt und streckt sich von den Reisestrapazen der vergangenen Tage, als er im Atrium der Stadtwerke die Bühne der Erfurter Herbstlese betritt.
Reisewege sind nicht immer angenehm, egal ob zu Fuß, im Zug oder Flugzeug. Doch egal wie unbequem und groß die Hindernisse sein mögen: Zu erzählen gibt‘s in jedem Fall ‘ne Menge. Und wer so reden kann wie Timmerberg, findet Zuhörer – für einen Schwank aus Bielefeld genauso wie für abenteuerliche Episoden aus Kairo und Tanger. Der Reiseautor – nicht nur bekannt durch seine Bücher, sondern auch durch Reportagen in Geo, Playboy oder Glamour – entführt die Gäste aus dem kühlen Atrium, auf dessen Dach der Abendregen prasselt, in sein Haus in Marrakesch, mit Brunnen und Orangenbäumen im Hof – und dem Muezzin gleich um die Ecke.
Wir begegnen einem Freund Timmerbergs, der mit seiner Vorliebe für Nacktyoga unter freiem Himmel zuerst die Aufmerksamkeit der verschleierten Nachbarin erregt – und dann die des Ehemanns und des Stadtviertel-Aufsehers. Wir werden Zeuge, wie Timmerberg aus reiner Gastfreundschaft einem unbekannten Hausbesucher einen Joint reicht und kurz danach erfährt, dass es der Polizeichef ist. Und wir wundern uns, dass Timmerberg an diesem Abend kaum zu seinem aktuellen Buch greift: „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich.“
Der 62-Jährige versteht sich mehr als Erzähler denn als Vorleser – oder liegt‘s doch nur an der neuen, ungewohnten Lesebrille, wie er behauptet. Egal, dem Publikum gefällt‘s. Timmerberg braucht nicht die große Show, er überzeugt mit zu runden Geschichten verdichteten kleinen und größeren Abenteuern seines Lebens, mit seinem kneipentauglichen Humor und dem feinen Gespür für all die Dinge, die verwundern, erschrecken und begeistern auf den Reisen in die Ferne. Wie gut fürs deutsche Publikum, dass er zurückkehrt und davon erzählt.
Martin Moll ist Redakteur in der Erfurter Lokalredaktion der TLZ